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sei. Sie fragten die Pädagogin, warum diese kein Kopftuch trage und warum sie sich
die Fingernägel lackiere oder schminke, weil dies im Islam nicht erlaubt sei. Auf die
Erzählung eines Mädchens, dass die nichtmuslimischen Menschen in die Hölle oder
das „Feuerdings“627 kämen, habe die Pädagogin die Existenz verschiedener Religionen
erklärt und zu bedenken gegeben, dass sie selbst auch in den Himmel komme, auch
wenn sie nicht muslimisch sei. Die muslimische Pädagogin meint, dass die Kinder das
wiedergäben, was sie von den Eltern hörten. Normalerweise würden Kinder im Islam
nicht fasten, allerdings würden manche Kinder gerne fasten, weil sie das bei ihren
Eltern sehen würden. Viele Kinder, die fasten wollten, verzichteten auf das Frühstück,
würden zu Mittag allerdings wieder essen. Die muslimische Pädagogin meint, dass
Kinder nicht fasten müssten. Sie könnten zwar langsam damit beginnen, seien aber
noch zu klein dafür und es sei problematisch, wenn sie nichts trinken würden, weil
es im Kindergarten im Sommer sehr heiß sein könne. Muslimische Eltern brächten
teilweise Torten in den Kindergarten mit, die Gelatine enthalten würden, weshalb die
Pädagoginnen die Zutaten der Torten vor dem Essen immer kontrollierten. Heraus-
forderungen aufgrund der Religion würden sich laut den Aussagen der Pädagoginnen
ausschließlich mit den Eltern ergeben, nicht mit den Kindern. Manche Eltern seien zu
ihren Kindern aus religiösen Gründen sehr streng, obwohl manche Vorschriften nicht
für Kinder gelten würden. Als Beispiel wird ein Kind angeführt, das im Sommer aus-
schließlich dicke lange Kleidung und keine kurzärmeligen T-Shirts oder kurzen Hosen
trage. Die Pädagogin habe deshalb mit der Mutter gesprochen und diese gebeten, dem
Kind ein dünnes Gewand anzuziehen, da es für das Kind im Sommer sonst zu heiß sei.
Einem muslimischen Vater sei es wichtig gewesen, mit „Salam aleikum“ begrüßt zu
werden, was die christliche Pädagogin verweigert habe, weil sie keine Muslima sei.
Zu Beginn habe die Pädagogin den Vater mit „Grüß Gott“ begrüßt, habe schließlich
allerdings auf die Grußformel „Guten Morgen“ gewechselt.
Die Kinder bemerkten die Abwesenheit mancher Kinder im Koranunterricht und
fragten nach dem Grund hierfür und verstünden diesen, wenn die Pädagoginnen ihnen
diesen einige Male erklärten. So sagten die Pädagoginnen den Kindern, dass manche
Kinder nicht muslimisch seien und einer anderen Religion zugehörten, weshalb diese
nicht am Koranunterricht teilnehmen würden, sondern im Gruppenraum blieben.
Bekämen die Kinder im Koranunterricht Süßigkeiten, würden auch den christlichen
Kindern welche gegeben, damit sie nicht benachteiligt seien. Beim Vorbeigehen an
einer Kirche erkläre die Pädagogin den Kindern deren Bedeutung für christliche
Menschen, die mit der Bedeutung der Moschee für muslimische Menschen verglichen
werden könne. Sie selbst würde als Christin zum Beten in dieses Gebäude gehen.
Wenn der Kindergarten über Weihnachten und Ostern einige Tage geschlossen habe,
fragten die Kinder nach dem Grund dafür. Zu Ostern wollten sie von der christlichen
Pädagogin wissen, ob das der österreichische Ramadan sei, woraufhin die Pädagogin
ihnen zu erklären versuche, dass es sich um ein anderes Fest handle. Ebenso fragten
sie nach, ob es den Weihnachtsmann gebe. Manche Kinder bekämen zu Weihnachten
627 Gruppendiskussion mit Pädagoginnen im Kindergarten in islamischer Trägerschaft, 114.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279