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irgendwie für das Kind passt“.636 Die Abwesenheit mancher Kinder bei religiösen Fes-
ten und deren Grund werden weder mit den Eltern, den Kolleginnen noch den Kindern
thematisiert. Als Ursache, warum Eltern ihre Kinder vor dem Fest abholen, wird der
Ort der Kirche vermutet. Es wird die Frage gestellt, ob in der Kirche oder an einem
neutralen Ort, wie einem Saal, gefeiert werden solle. Trotz der Bedenken der Leiterin,
in der Kirche zu feiern, da viele muslimische Kinder im Kindergarten seien, wird das
Martinsfest mit Verweis auf die Tradition in der Kirche gefeiert.
Im Kindergarten in islamischer Trägerschaft werden religiöse Feste nicht gefeiert,
damit sich einzelne Kinder nicht isoliert fühlen.
Feste der kleineren Religionen
Das Angebot von Festen der kleineren Religionen im Kindergarten wird überlegt. Die
Leiterin des Kindergartens in katholischer Trägerschaft möchte in Zukunft im Kinder-
garten Feste verschiedener Religionen anbieten, wobei keine konkrete Planung für das
Feiern von Festen anderer Religionen vorhanden ist. Im Verlauf des Jahres bemüht sich
die Leiterin, Vorbereitungen zu treffen, damit das Opferfest gefeiert werden könne. Es
erweist sich als schwierig, muslimische Eltern zu finden, die den Kindern im Kinder-
garten über das Opferfest berichten. Die Pädagoginnen führen dies darauf zurück, dass
die Eltern entweder selbst zu wenig über das Fest wüssten oder nicht über die Deutsch-
kenntnisse verfügten, um den Kindern etwas darüber zu erzählen. Deshalb wird nach
längerem Überlegen eine muslimische Bekannte der Kindergartenleiterin in den Kin-
dergarten eingeladen, um mit den Kindern im letzten Kindergartenjahr das Opferfest
zu feiern. Die Pädagoginnen sind sich nach dem Fest nicht sicher, ob die Kinder das
Fest verstanden hätten, auch wenn die eingeladene Frau „das lieb gemacht“637 habe.
Das Feiern des Opferfestes findet am selben Tag mit der Feier eines Geburtstagsfestes
statt und manche Kinder können aufgrund eines zeitgleich stattfindenden Angebots am
Opferfest nicht teilnehmen. Dem Fest kommt somit noch geringe Bedeutung zu, auch
wenn die Leiterin bemüht ist, ein Fest einer kleineren Religion zu feiern.
Säkulare Feste anstelle von religiösen Festen
Feste, die einen originär religiösen Hintergrund haben, werden so verändert und umin-
terpretiert, dass dieser Hintergrund nicht mehr erkennbar ist. Auf religiöse Symbole
wird verzichtet. Es werden Feste ausgewählt, die von allen Kindern gleichermaßen
gefeiert werden können. Beispielsweise wird im Kindergarten in islamischer Träger-
schaft an Stelle des Weihnachtsfestes ein „Eisbärenfest“ oder ein „Sonne-, Mond- und
Sterne-Fest“ gefeiert. Als Gründe für das Feiern eines säkularen Festes werden ange-
geben, dass sich niemand ausgeschlossen fühlen solle, jeder und jede gleichermaßen
an dem Fest partizipieren könne und alle Kinder Zufriedenheit und Dankbarkeit erler-
nen könnten. Auch würden durch das Feiern von säkularen Festen Beschwerden der
636 Expertinneninterview mit Leiterin des Kindergartens in katholischer Trägerschaft, 67.
637 Gruppendiskussion mit Pädagoginnen im Kindergarten in katholischer Trägerschaft, 224.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279