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Aus Angst, etwas Falsches zu sagen, schweigen sie über verschiedene Religionen und
religiöse Differenz. Die Pädagoginnen möchten den Kindern nicht etwas über eine
Religion erzählen, die sie selber nicht ausüben, da sie es schwierig finden, wenn reli-
giöse Ausdrucksformen und Rituale von einer Person erklärt würden, die dieser nicht
vertraut seien.
Fehlendes Wissen kann zur Irritation und zur Befremdung der Kindergartenpäd-
agoginnen durch eine andere Religion führen, wie beispielsweise beim Besuch einer
Moschee, wenn den Kindern erlaubt wird, in der Moschee zu laufen. Diese Befrem-
dungssituation und das Gefühl, dass die ursprüngliche Intention nicht zum Erfolg bei
den Kindern geführt habe, führt zu Irritationen der Pädagogin und motiviert nicht für
weitere Versuche, andere Religionen einzubeziehen.
Religiöse Erziehung als Wertevermittlung
Religiöse Erziehung wird auf Wertevermittlung fokussiert. Die Kindergartenleitung
in katholischer Trägerschaft betont die Bedeutung, Werte zu vermitteln, die alle Kin-
der betreffen würden, da alle Kinder danken lernen sollten, alle wissen sollten, dass
Brot nicht einfach wegzuwerfen und auf die Natur und die Umwelt Rücksicht zu neh-
men sei. Religiöse Differenz ist in diesem Zusammenhang nicht wichtig, sondern das
Gemeinsame, alle Verbindende wird hervorgehoben, die verschiedenen Religion wer-
den auf Wertevermittlung reduziert und somit vereinheitlicht, homogenisiert, wie es in
dem Satz „Teilen finden auch die Muslime gut“639 zum Ausdruck kommt.
Religion als Inszenierung
Religiöse Themen werden gerne inszeniert, indem die Kinder im Alltag beispielsweise
Rollenspiele oder Tänze einstudieren und diese den Eltern vorführen, ohne den religi-
ösen Grund für diese Darbietung nennen zu können. Im Vordergrund stehen die Auf-
führung und die Repräsentation des Kindergartens, nicht die religiöse Dimension des
Festes. Die Rücksichtnahme auf religiöse Differenz würde die Gestaltung des Festes
verändern und es würde die Gefahr bestehen, kein einheitliches Bild vom Kinder-
garten zu vermitteln. Bei der Entscheidung über die Form der religiösen Gestaltung
der Feste sind die Kinder nicht beteiligt, sie werden ausschließlich durch das Proben
der von den Pädagoginnen vorgegebenen Lieder oder Tänze und durch das Vorführen
dieser bei der Feier einbezogen. Den Festen, die mit den Eltern geplant sind, geht eine
lange und intensive Vorbereitungszeit voraus, deren Abschluss eine Generalprobe ist.
Beim Fest singen die Kinder den Eltern etwas vor, sie spielen ein Theaterstück oder
tanzen für die Eltern. Diese Feste sind vom Aufführungscharakter geprägt, die Eltern
sind stolz über die Präsentation ihrer Kinder. Diese Feiern sind, unabhängig davon, ob
sie religiös geprägt sind, religiöse Elemente beinhalten oder säkular sind, eine Auf-
führung der Kinder für die Eltern. Wie den Kindern das Fest gefällt und ob es ein Fest
der Kinder ist, bleibt zweitrangig. Deutlich wird dies besonders während der Proben
639 Forschungstagebuch im Kindergarten in katholischer Trägerschaft, Ausschnitt aus
Gespräch mit Leiterin, 195.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279