Page - 176 - in Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten - Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
Image of the Page - 176 -
Text of the Page - 176 -
© Waxmann Verlag GmbH. Nur für den privaten Gebrauch.
176
Ein muslimisches Mädchen benennt, dass sie die Geschichte, die im Rahmen des
Opferfestes erzählt worden sei, bereits gekannt habe, möchte aber nicht sagen, woher.
Die Kinder der kleineren Religionen im Kindergarten in islamischer Trägerschaft
thematisieren ihre eigene Religionszugehörigkeit nicht, es erfolgt ausschließlich eine
Abgrenzung, dass sie keine Muslime beziehungsweise keine Moschee seien und
deshalb nicht am Koranunterricht teilnehmen würden. Ihre eigene Zugehörigkeit
bezeichnen sie mit ihrer Herkunft oder ihrer Sprache. Andere religiöse Ausdrucksfor-
men werden von den christlichen Kindern im Kindergarten nicht geschildert.
3 I: Wer geht in den Koranunterricht?
4 Jw: Die alle, außer ich und Dw.
5 I: Warum gehen die alle und ihr nicht?
6 Jw: Weil wir sind keine Moschee. Die anderen sind Moschee.
7 I: Was seid ihr?
8 Jw: Rumänisch und Dw ist Polnisch.
9 I: Was bedeutet es, dass alle andere Kinder Moschee sind?
10 Jw: Da müssen sie gehen (sie zeigt in Richtung des Koranzimmers)653
Anpassung an das Verhalten der größeren Religion
Im Verhalten der Kinder der kleineren Religionen ist nicht erkennbar, dass diese einer
anderen Religion zugehören. Sie passen sich den im Kindergarten gelebten Ritualen
der jeweiligen größeren Religion an, so sprechen im Kindergarten in katholischer Trä-
gerschaft alle Kinder die angebotenen christlichen Gebete mit und nehmen dieselbe
Gebetshaltung ein, indem sie die Hände falten. Alle Kinder singen dieselben Lieder,
entwerfen Geschenke für die christlichen Feste und sind in die Vorbereitung von Fes-
ten eingebunden, für die ihnen bei Tänzen oder Rollenspielen bestimmte Rollen zuge-
wiesen werden. Die Feste werden von allen Kindern gleichermaßen gefeiert, sofern
die Kinder nicht im Vorhinein von den Eltern abgeholt werden.
Selbstverständliche Zugehörigkeit
Die Kinder der jeweils größeren Religion nehmen selbstverständlich an den im Kin-
dergarten vorbereiteten Angeboten teil. Für die Kinder im Kindergarten in islamischer
Trägerschaft ist selbstverständlich, dass der Großteil der Gruppe muslimisch ist und
in den Koranunterricht geht. Im Kindergarten in katholischer Trägerschaft ist es für
die Kinder normal, dass alle Kinder an den im Kindergarten angebotenen Aktivitäten
teilnehmen; nimmt ein Kind nicht teil, fällt es den Kindern auf und das Fehlen des
Kindes wird als seltsam angesehen und die Kinder haben keine Erklärung dafür. Sind
Kinder der größeren Religion bei bestimmten Angeboten verhindert, thematisieren sie
das, ihre Zugehörigkeit scheint dadurch nicht in Frage gestellt zu sein.
653 Gruppendiskussion zum Koranunterricht mit Jw und Pw im Kindergarten in islamischer
Trägerschaft, 3–10.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279