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tity, then, is not the opposite of, but depends on, difference.“820 Die Individuen werden
nicht auf eine „vorgegebene, inhaltliche Identität festgelegt“, sondern sie beteiligen
sich „an einem Bewußtseins- und Willensbildungsprozess einer gemeinsam erst zu
entwickelnden Identität“,821 die im Leben niemals abgeschlossen ist. Die Befürchtung,
dass eine zu frühe Auseinandersetzung mit verschiedenen Religionen, die religiöse
Identitätsbildung der Kinder gefährden könnte oder die Kinder überfordert, kann
anhand der in dieser Untersuchung gewonnenen Daten entkräftet werden. Kinder
scheinen durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Religionen nicht verwirrt
zu werden, sondern sie können zwischen „meinem“ und „deinem“ unterscheiden.
Während der Datenerhebung zeigten sich Kinder in keiner Situation durch die Existenz
anderer Religionen irritiert.822 Entweder wird die Existenz verschiedener Religionen
von den Kindern nicht thematisiert und wenn sie diese thematisieren, bevorzugt im
Kindergarten in islamischer Trägerschaft, ist die Neugierde dem anderen gegenüber
und der Wunsch, mehr über die andere Religion zu wissen, leitend. Eine eindeutige
religiöse Identitätszuschreibung kann nicht erfolgen,823 da Identität nie abgeschlossen
ist und es niemandem zusteht, eine andere Person auf eine (religiöse) Identität festzu-
legen. Identität hat sowohl mit „subjekthaften wie mit sozialen, mit psychischen wie
intersubjektiven Aspekten zu tun.“824
Der Kindergarten als safe space, indem die Entwicklung einer Kultur der Aner-
kennung durch die Perspektive der Kinder ergänzt wird, kann dazu beitragen, dass
religiöse Differenz nicht ausschließlich als Herausforderung, sondern vermehrt als
Chance, sowohl für die Gestaltung des Kindergartenalltags als auch für die (religiöse)
Identitätsentwicklung, erlebt wird.
rinnen-Bewegung).“ (Mette, Norbert (2005): Einführung in die katholische Praktische
Theologie, 73).
820 Woodward, Kathryn (1997): Concepts of Identity and Difference. In: Woodward, Kathryn
(Hg.): Identity and difference. London/Thousand Oaks/New Delhi/Milton Keynes: Sage
Publications in association with The Open University, 7–61, 29.
821 Mette, Norbert/Steinkamp, Hermann (1983): Sozialwissenschaften und Praktische Theo-
logie, 44.
822 In einem Forschungsprojekt von Baumann diskutierten Jugendliche über religiöse Ideen
oder Feste. Sie benannten das Fest Divali als das hinduistische Weihnachten, das Opfer-
fest als das muslimische Ostern. Der Imam, Gyanni und der Pandit wurden als Priester
bezeichnet. Vgl. Baumann, Gerd (1996): Contesting Culture. Discourses of Identity in
Multi-Ethnic London. Cambridge: Cambridge University Press.
823 Asbrand, Barbara (2008): Zusammen leben und lernen im Religionsunterricht, 225.
824 Grümme, Bernhard (2012): Menschen bilden? Eine religionspädagogische Anthropolo-
gie. Freiburg i. Br.: Herder.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279