Page - 219 - in Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten - Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
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Stolz, wenn sie Suren gut aufsagen können, und die Kinder, die Arabisch sprechen,
scheinen stolz auf ihre Sprachkenntnisse zu sein.
Die Selbstverständlichkeit und die Neugier, mit der Kinder religiöser Differenz
begegnen, ist eine gute Basis für Lernprozesse zu religiöser Differenz.851 Neugier ist
für Heinz Streib eine wichtige Voraussetzung für den Beginn einer interreligiösen
Begegnung.852 Die Gespräche oder Fragen der Kinder, die sich während des Kinder-
gartenalltags unvermittelt ergeben, können, sofern sie von den Pädagoginnen und Päd-
agogen wahrgenommen und sensibel aufgegriffen werden, Lernchancen sein, in denen
eine Auseinandersetzung mit religiöser Differenz erfolgen kann und die ein Potenzial
bergen, sich mit religiöser Differenz auseinanderzusetzen. Jonas Stier u. a. stellen in
ihrer Studie fest, dass sich die fruchtbarsten Situationen für interkulturelles Lernen
ungeplant und improvisiert ergeben.853 Auch Konflikte, die im Kindergartenalltag im
Kontext religiöser Differenz entstehen, können als Lernchancen gesehen werden.
„Wo jedoch das Problem objektiv betrachtet wird, sollte es sich (obwohl der Konflikt
sozialer Natur ist) nicht in eine Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Identitäten
auflösen, sondern in eine Rekonstruktion der Situation münden, die die Herausbildung
anderer, umfassenderer und tüchtigerer Persönlichkeiten erlaubt. Die Aufmerksamkeit
sollte also auf das objektive soziale Gebiet zentriert sein.“854
Im Kindergarten kommen religiöse Ausdrucks- und Handlungsformen vor, in denen
religiöse Differenz für die Kinder erkennbar855 sein können, bei denen Differenz aber
auch ausgeblendet werden kann. Christa Dommel plädiert dafür, das pädagogische
Konzept des Situationsansatzes auf die Thematik religiöser Vielfalt in Einrichtungen
anzuwenden,856 weil sie darin ein Instrumentarium sieht, durch welches vermieden
wird, „Kinder nach ihrer Religionszugehörigkeit in Schubladen zu sortieren und sie
einem abstrakten, lebensfernen Religionsbegriff unterzuordnen“.857 Sie betont, dass
sich Beteiligte im Zusammenhang mit Religion mit bestimmten Themen auseinander-
setzen können. „Entscheidend für das Auffinden der für Kinder bedeutsamen Situatio-
nen sind die Kinder selbst, deren Führung sich Erzieher/innen und Eltern anvertrauen
851 Vgl. Kapitel „Relevanz von religiöser Differenz“ (Teil V, 4.2.1).
852 Streib, Heinz (2001): Inter-Religious Negotiations. In: Heimbrock, Hans-Günter/Scheilke,
Christoph/Schreiner, Peter (Hg.): Towards Religious Competence, 129–149, 140.
853 Vgl. Stier, Jonas/Tryggvason, Marja-Terttu/Sandström, Margareta/Sandberg, Anette
(2012): Diversity management in preschools using a critical incident approach. Education
23(4), 285–296, 292.
854 Mead, George Herbert (1913): Die soziale Identität. In: Joas, Hans (Hg.) (1987): George
H. Mead, 241–249, 248.
855 Vgl. Kapitel „Erkennbare Elemente religiöser Differenz“ (Teil V, 4).
856 Vgl. Dommel, Christa (2003): Kindergartenpädagogik und Religion in Deutschland. Von
Fröbel zum Situationsansatz. In: Dommel, Christa/Heumann, Jürgen/Otto, Gert: Werte-
Schätzen. Religiöse Vielfalt und Öffentliche Bildung. Festschrift für Jürgen Lott zum 60.
Geburtstag. Frankfurt/London: IKO, 206–222, 219.
857 Vgl. ebd.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279