Page - 33 - in Österreichisches Deutsch macht Schule - Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Image of the Page - 33 -
Text of the Page - 33 -
but central to many if not most dialectological approaches of German today“. Das
mag mit der Geschlossenheit des deutschsprachigen Gebiets zusammenhängen,
in dem
– im Unterschied zu anderen großen Sprachen
– die Staaten, in denen die
betreffende Sprache Mehrheitssprache ist, Nachbarstaaten sind. In bestimmten
Fällen mögen auch Konzepte einer deutschen Kultur- und Sprachnation dahinter-
stehen, denen zufolge das Abgrenzungskriterium einer Nation die Muttersprache
ist. Danach wäre die überwiegende Mehrheit der ÖsterreicherInnen ebenso wie
der DeutschschweizerInnen und der SüdtirolerInnen Deutsche.12
Norbert Richard Wolf (1994, siehe auch 2012) etwa schlägt den Begriff „plu-
riareal“ vor, „nicht zuletzt auch deshalb, weil Staatsgrenzen mitnichten auch
Sprachgrenzen sind“ (2012, 499). In einer Besprechung von Pollak (1992) meint
Wolf, dass Pollak die ‚Ideologie‘ von der staatsnationalen Varietät perpetuiere, die
schon zur Schaffung des ÖWB geführt habe und die auch heute noch in offiziellen
Kreisen der Kulturbürokratie gerne gepflegt werde (Wolf 1994, 75). Dieses ÖWB sei
„ein merkwürdiges Produkt restaurativer österreichischer Kulturpolitik nach dem
Zweiten Weltkrieg“ (a. a. O., 67). Vertreter des pluriarealen Konzepts gehen also
davon aus, dass eine Konzeptualisierung des Deutschen als „pluriareale“ Sprache
adäquater sei als die plurizentrische Konzeption, indem sie auf „durch dialektale
Großräume bestimmte Areale“ abstellt (Pohl 1997, 69). Sie verweisen vor allem
auf standardsprachliche Unterschiede innerhalb Deutschlands zwischen Nor-
den und Süden und innerhalb Österreichs zwischen Osten und Westen. Und sie
betonen des Weiteren die zahlreichen grenzüberschreitenden Gemeinsamkeiten,
z. B. Übereinstimmungen zwischen Süddeutschland, Österreich und der Schweiz
oder zwischen Westösterreich und Südostdeutschland oder auch zwischen Vor-
arlberg, Liechtenstein und der Schweiz. Die nicht mit den staatlichen Grenzen
übereinstimmenden regionalen Unterschiede im Standarddeutschen werden bei
diesem Zugang als wichtiger erachtet als die mit staatlichen/nationalen Grenzen
kongruierenden Unterschiede.
Scheuringer 1996 vertritt die Auffassung, dass „der Terminus plurizentrisch
den arealen Mustern des deutschen Sprachgebiets nicht gerecht werden kann“ (151):
… jene, die den Terminus weiterhin verwenden, [unterliegen] entweder der Sugges-
tivkraft des nun einmal eingeführten Terminus oder – und dies nehme ich an – sie
handeln so wider besseres Wissen (150).13
12 So meint der Wiener Historiker Lothar Höbelt, die Zuordnungen „deutsch“ und „österreichisch“
würden einander nicht ausschließen, sie seien vielmehr unterschiedliche Komponenten der
Identität. Österreich sei heute „deutscher als je in seiner Geschichte“ (Höbelt 1994, 341).
13 Fachkollegen wird hier sozusagen unterstellt, unlauter, nämlich wider besseres Wissen, zu han-
deln. Der Beitrag enthält auch andere für die Textsorte „wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel“
unübliche Passagen. So wird Wodak 1994 unterstellt, „im Stile dumpfer Boulevardblätter mit
Sätzen wie ‚Wir sind nicht Duden- Land‘ Hetze [zu] betreiben“. (152).
Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen
| 33
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256