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politisch- nationale Grenzen überschreiten. Und schließlich auch ein perzeptions-
linguistisches Argument: Spracheinstellungserhebungen bei linguistischen Laien
würden zeigen, dass der von LinguistInnen geschaffene Gegenstand „nationale
Varietät“ in deren Wahrnehmung (noch) nicht angekommen sei (211 f)20. Daher
habe sich das Projekt Variantengrammatik nicht auf „vermeintlich ‚nationale‘
Varianten“ festgelegt, sondern ein Korpus aus allen Gebieten des geschlossenen
deutschsprachigen Raums erstellt und vorläufig nach Sektoren untergliedert
wie im Variantenwörterbuch 21, und nach Bedarf könnten diese Sektoren dann
als Ergebnis der empirischen Analyse zu größeren Gebieten zusammengefasst
werden (212). Empirische Daten sollten, wie es heißt, die Grundlage für die
Beantwortung der Frage sein, ob das Deutsche in höherem Maße eine plurina-
tionale oder eine pluriareale Sprache sei. Das Projektteam gebe „dem neutrale-
ren Terminus ‚pluriareales Deutsch‘ den Vorzug“ (213). Ziel des Projekts sei es,
ausgehend von einem Korpus aus den Regionalteilen von 690 Onlinezeitungen
im Umfang von über 640 Millionen Wortformen die arealen Unterschiede in
der Grammatik der deutschen Standardsprache systematisch zu erforschen und
später in einem Handbuch zu dokumentieren. Dabei wird ein striktes Standard-
konzept angewandt – Grenzfälle des Standards sind nicht vorgesehen – Phäno-
mene sind entweder Standard oder Non- Standard (215)22. Weiters wird davon
ausgegangen, dass es sich in den meisten Fällen von Variation nicht um „abso-
lute, sondern relative Varianten“ (218) handelt, d. h., dass in den meisten Fällen
Varianten nebeneinander vorkommen, die man nach Mehrheits- und Minder-
heitsvarianten unterteilen könne, also dass z. B. in einem Areal A die Variante
X zu 70 % und die Variante Y zu 30 % vorkomme. Bei Dürscheid/Elpaß/Ziegler
(2015) finden sich Fallanalysen von vier Varianten in einem Pilotkorpus, die den
Zugang illustrieren. Als Beispiel sei die prädikative Verwendung von „n- jährig“
(z. B. „Der Chronist wird 80-jährig“ im Sinn von „80
Jahre alt“) angeführt, bei der
von der Hypothese ausgegangen wird, dass diese fast nur im Schweizer Korpus
vorkommt. Die Pilotanalyse deutet darauf hin, dass „die prädikative Verwendung
des Adjektivs in Bezug auf das Alter von Menschen in der österreichischen und
deutschen Standardvarietät nicht möglich zu sein scheint“ (224). Abschließend
20 Als Beleg dafür werden die Arbeiten von Pfrehm (2007) angeführt, die allerdings genau das
Gegenteil belegen, wie eine Anfrage beim Autor bestätigt hat – siehe Kap. 2.4.3.
21 Es handelt sich dabei um Deutschland Nordwest, Deutschland Nordost, Deutschland Mittelwest,
Deutschland Mittelost, Deutschland Südwest, Deutschland Südost, Österreich West, Öster-
reich Mitte, Österreich Südost, Österreich Ost, Schweiz, Ostbelgien, Liechtenstein, Luxemburg,
Südtirol. Die Zusammenfassung von Vorarlberg und Tirol zu einem Sektor „Westösterreich“
ist angesichts des pluriarealen Zugangs allerdings ungenau.
22 Kritisch angemerkt sei hier, dass Standard- Sprachgebrauch auf den Gebrauch in online zugäng-
lichen Regionalzeitungen reduziert wird. Und inwiefern bzw. ob ein derart rigider Normbegriff
zur Erfassung des einen Endes des im Prinzip ein Kontinuum zwischen Standard und Dialekt
darstellenden Sprachgebrauchs (vgl. Löffler 2005) beschreibungs- und erklärungsadäquat ist,
wäre zu hinterfragen.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR
| Theoretische Einordnung des
Forschungsgegenstandes36
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256