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Die Forschungslage ist dadurch gekennzeichnet, dass eine umfassende exakte
Beschreibung der tatsächlichen Sprachvariation in Österreich bislang aussteht
und man auf wenig empirische Forschungen zurückgreifen kann. Eine reali-
tätsnahe Modellierung und genaue empirische Beschreibung des heimischen
Sprachgebrauchs, welche die gesamte Variationsbreite des Sprachverhaltens im
Dialekt- Standard- Kontinuum erfasst und variationslinguistisch begründet, stellt
ein wichtiges Desiderat dar. Einen Beitrag dazu wird
– so kann man annehmen
–
der Spezialforschungsbereich „Deutsch in Österreich“ (DiÖ) 37 leisten.
Über die konkrete Varietätenvielfalt im Mündlichen gibt die Arbeit von
Steinegger (1998) Auskunft, der Sprachgebrauch und Sprachbeurteilung in Öster-
reich und Südtirol mit einer Fragebogenerhebung (n = 1464) 1984/85 und 1991
untersucht hat. Steinegger stellt zum einen ein deutliches Stadt- Land- Gefälle
beim Gebrauch der Standardsprache bzw. der Umgangssprache und des Dialekts
fest. Zum anderen konnte er zeigen, dass das Sprachverhalten der Befragten
abhängig von der Situation und vom Gesprächspartner variiert: Mit Familien-
mitgliedern (Kinder ausgenommen) werde eher Dialekt bevorzugt, bei weni-
ger bekannten Personen schwanke der Sprachgebrauch zwischen Umgangs-
sprache, Dialekt und Hochsprache. Mit dem Formalitätsgrad der Situationen
(im Gespräch mit Lehrern, Ämtern, Ärzten, sonstigen ‚Unbekannten‘) sinke
der Dialektgebrauch und ein Übergang zu Umgangssprache oder Hochspra-
che finde statt (Steinegger 1998, 105 f). Beim gewünschten Sprachgebrauch mit
Kindern plädiere knapp die Hälfte für die Verwendung der Hochsprache, der
Rest schwanke zwischen Umgangssprache und Dialekt. Bezogen auf die eigene
Schulzeit fiel es etwas mehr als der Hälfte der von Steinegger befragten Personen
leicht, Hochdeutsch im Unterricht zu sprechen. Rund ein Drittel gab an, keine
besonderen Probleme mit dem Hochdeutschen im Unterricht gehabt zu haben,
während es jedoch rund 12 % schwergefallen sei, in der Schule Hochdeutsch
verwenden zu müssen.
Wiesinger (2010), der die Arbeiten von Steinegger einbezieht, stellt fest, dass
„die österreichisch geprägte Standardsprache […] in erster Linie in nur weni-
gen Situationen des öffentlichen Lebens wie Rundfunk, Fernsehen, Kirche und
Schule als offiziöse Sprachform und das mit phono- stilistischen Abstufungen
gebraucht“ werde, und bloß eine kleine, besonders städtische Bildungsschicht
spreche sie auch als Alltagssprache (363). Die mündliche Variation sei abhängig
von Variablen wie sozialer Stellung, Beruf, Mobilität, Wohnort, Generationszu-
gehörigkeit, Geschlecht etc. Bei Ammon/Bickel/Lenz 2016 wird zwischen zwei
Formen des Standards in Österreich unterschieden, der Sprache der Schriftlich-
keit und jener mündlichen Sprechakte, die als öffentlich und/oder formell gel-
ten (z. B. Ansprachen, Predigten, Nachrichten), und einer informellen Variante,
die sich in wenigen Merkmalen vom formellen Standard unterscheide. Diese
37 Siehe https://dioe.at/ (9. 1. 2019). Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256