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oder -instanzen. Dass Nachschlagwerke wie das Österreichische Wörterbuch
oder der Duden auch für Fragen außerhalb der Rechtschreibung als maßgeblich
gelten, ist eine Konvention, die aber höchstens im Bereich von Schule und Amts-
stellen festgeschrieben werden kann. Dass sich die meisten Menschen in einer
Sprachgemeinschaft dennoch an sprachliche Normen halten, verweist auf den
klar sozialen, großteils verbindlichen Charakter sprachlicher Normen.
Die Normen der Standardvarietäten sind von sehr hoher Verbindlichkeit. Sie
sind kodifiziert
– es gibt für sie Nachschlagwerke für den „korrekten“ Gebrauch,
sie haben amtlichen Status, sie werden in der Schule förmlich gelehrt, sie sind
oft auch gesetzlich verankert (z. B. in der Verfassung, in Lehrplänen) und ihre
Einhaltung wird von „Sprachnormautoritäten“ kontrolliert (siehe oben, Ammon
2005). Für die Durchsetzung oder Aufrechterhaltung dieser Normen sorgen, wie
schon oben ausgeführt, so genannte normsetzende Instanzen (Ammon 2005,
32 ff) wie ModellsprecherInnen/Modelltexte; BerufssprecherInnen, -schreibe-
rInnen (z. B. NachrichtensprecherInnen, SchriftstellerInnen); Sprachkodices
(Nachschlagwerke, Wörterbücher, Grammatiken); SprachexpertInnen (sprach-
wissenschaftliche Fachleute) und eben Sprachnormautoritäten, die von Berufs
wegen Texte korrigieren (dürfen) (LehrerInnen, Amtsvorstände, LektorInnen,
RedakteurInnen etc.).
Aus den obigen Ausführungen geht hervor, dass u. E. im schulischen Kontext
nur ein situativer bzw. ein kommunikativer Normbegriff sinnvoll ist: Mit der
Entwicklung von Soziolinguistik und Pragmalinguistik und der so genannten
„pragmatischen Wende“ in der Sprachwissenschaft seit den 1960er- Jahren, die sich
auch mit sprachlicher Variation außerhalb des Standards und mit der Beziehung
zwischen dem Sprachsystem und den SprachverwenderInnen befasst hat, wurde
ein flexibleres Normverständnis modelliert. Sprache wird hier als Sprachhandeln
verstanden. Demnach verfügen kompetente SprecherInnen einer Sprache über die
so genannte kommunikative Kompetenz (Habermas 1971, Hymes 1972, Searle 1971,
Austin 1972), die sie in möglichst vielen unterschiedlichen Situationen sprachlich
handlungsfähig macht. Nach dem Motto, frei nach Fishman: Wer spricht wie/
welche „Sprache“ mit wem und wann in welcher Situation/unter welchen sozia-
len Umständen über welchen Inhalt/welches Thema mit welchen Absichten und
Konsequenzen? (Fishman 1975). Dieser Konzeptualisierung von Sprache entspricht
der erwähnte situative Normbegriff, der die Beherrschung von unterschiedlichen
Registern der Standardsprache, aber auch dialektaler oder umgangssprachlicher
Varietäten je nach Situation, Thema, GesprächspartnerIn und anderen Fakto-
ren umfasst. In der Familie spricht man anders als bei einem Vortrag, mit den
Regelwerks im unerlässlichen Umfang weiterzuentwickeln. Der Rat ist somit die maßgebende
Instanz in Fragen der deutschen Rechtschreibung und gibt als solche mit dem amtlichen Regel-
werk das Referenzwerk für die deutsche Rechtschreibung heraus.“ http://www.rechtschreibrat.
com/der- rat/ueber- den- rat/ (18. 12. 2018). Sprachnorm und Sprachenunterricht
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256