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Im Lehrplan der Volksschule für das Fach Deutsch finden sich weder Bezüge zum
österreichischen Deutsch oder anderen Standardvarietäten der deutschen Sprache
noch zur Thematik der Plurizentrik. Nicht- standardsprachliche Varietäten finden
insofern Erwähnung, als die Begriffe „Mundart“ und „regionale Umgangsspra-
che“ im Kontext Sprechen/richtige Satzmuster bzw. Erweiterung der Sprachfähigkeit
erwähnt werden: „Üben von Satzmustern, die häufig fehlerhaft verwendet werden,
insbesondere Fehlformen, die sich aus dem Unterschied zwischen Mundart- und
Standardsprache ergeben.“ (Lehrstoff Grundstufe I, S.
4) Oder: „Der Übergang von
der Mundart oder der regionalen Umgangssprache zur Standardsprache soll sich
ohne Bruch vollziehen.“ (Didaktische Grundsätze/allgemein, S.
24)
Der Standardsprache wird im Volksschul- Lehrplan sehr große Bedeutung
beigemessen: Zwar wird fast ausschließlich im mündlichen Kontext, jedoch
durchgängig auf allen Schulstufen der Grundstufe I und II immer wieder auf
die Standardsprache verwiesen, wie im folgenden Beispiel:
Im Einzelnen geht es darum, die individuelle Sprache des Kindes zur Standardsprache
zu erweitern.
[…] wesentliche Aufgabe des Teilbereichs Sprechen ist es, die Bereitschaft
und Fähigkeit der Schüler zur mündlichen Kommunikation allmählich zu erhöhen
und sie zu einem möglichst sicheren Gebrauch der Standardsprache zu führen. (Bil-
dungs- und Lehraufgabe/allgemein, S. 1)
Bei den didaktischen Grundsätzen/Sprechen/allgemein (S. 24) wird darauf hin-
gewiesen, dass „das Hinführen zu den Formen der Standardsprache keinesfalls
unter Leistungsdruck erfolgen“ soll, um „sprachliche Hemmungen zu vermeiden
bzw. abzubauen“. Dass der Standardsprache eine Norm zugrunde liegt, geht aus
dem Lehrplan der Volksschule implizit hervor. Allerdings gibt es keine kon-
kreten Verweise darauf, wie diese Norm definiert ist, zumeist bezieht sich der
Normverweis auf das Rechtschreiben. Obwohl der Begriff „normgerecht“ vielfach
verwendet wird, existieren keinerlei Empfehlungen oder Richtlinien hinsicht-
lich der „Zielnorm“: „Aufgabe des Rechtschreibunterrichtes ist es, die Schü-
ler zu normgerechtem Schreiben zu motivieren.“ (Bildungs- und Lehraufgabe/
Rechtschreiben/allgemein, S. 2); „Sicherung des normgerechten Gebrauchs von
Zeitwort, Namenwort und Eigenschaftswort“ (Sprechen/4. Schulstufe, S. 14);
„das Bemühen um normgerechtes Schreiben erhalten und festigen“ (Rechtschrei-
ben/ 3. Schulstufe, S. 19).
Die Lehrpläne der AHS Unterstufe, der NMS und der HS gleichen einander im
Prinzip, bis auf kleine, für diese Untersuchung nicht relevante Unterschiede. Alle
drei Lehrpläne haben gemein, dass weder das österreichische Deutsch noch das
plurizentrische Konzept Erwähnung finden. Der Umgang mit Varietäten und
den dafür notwendigen Begrifflichkeiten ist unsystematisch; es ist von Standard-
sprache, Herkunftssprache und Muttersprache die Rede, diese jedoch werden
nicht näher definiert:
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256