Page - 202 - in Österreichisches Deutsch macht Schule - Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Image of the Page - 202 -
Text of the Page - 202 -
In den Einzelinterviews gaben die meisten LehrerInnen an – wenn sie auch
häufig mit Abschwächungspartikeln („eigentlich“, „ich würde sagen“, „schon“) ihre
Aussagen relativierten – dass sie v. a. beim Vortrag Standardsprache verwenden.
Manche LehrerInnen deuteten an, dass ihnen sehr wohl bewusst sei, dass fall-
weises Switchen zwischen Standard und Umgangssprache durchaus vorkommt.
Dazu meinte eine Lehrerin aus Wien (FW1): „Im Unterricht versuch ich schon –
die Standardsprache zu sprechen.“ Ähnlich eine Lehrerin aus Tirol (FT4): „Da
versuch i eigentlich die Standardsprache beizubehalten.“
Dass viele LehrerInnen in die Umgangssprache oder den Dialekt wechseln,
sobald persönliche oder emotionalere Angelegenheiten zur Sprache kommen,
ging aus fast allen Interviews hervor. Eine Tiroler Lehrerin (FT2) etwa wechselt
bewusst in den Dialekt, wenn sie schimpft: „Ja. Also im Unterricht verwende ich
schon gehobene Umgangssprache. Und nur wenns emotional wird, also wenn
ich schimpf <zum Beispiel (lachend)>, dann ah is des gonz kloar, doss i des/des
im Dialekt […] moch.“
Die in den Antworten auftauchenden Formulierungen deuten aber auch auf
eine gewisse Unsicherheit hin. Zur Illustration sei eine Interviewpassage mit einem
Vorarlberger Lehrer (MV2) angeführt: „Ja – Standardsprache - - - Deutsch mit
natürlich äh österreichischem Akzent würd i amal sagen, - - ja, nicht Umgangs-
sprache, sondern – Hochsprache ist jetzt vielleicht zu hoch gegriffen, aber - …“
Die wiederkehrenden Wort- und Satzabbrüche, Formulierungsaktivitäten
wie „würd i amal sagen“ und „vielleicht“ sowie die Tatsache, dass der Lehrer
zwar verschiedenste Varietäten nennt („Standardsprache“, „Deutsch“, „Deutsch
mit österreichischem Akzent“, „Umgangssprache“, „Hochsprache“), jedoch alle
relativiert und letztendlich zu keinem Schluss kommt, wie er tatsächlich mit
seinen SchülerInnen im Unterricht spricht, machen die erwähnte Unsicherheit
deutlich erkennbar. Diese Unsicherheit könnte zum Teil aus dem Umstand her-
rühren, dass die interviewten LehrerInnen möglicherweise davon ausgingen, die
sozial erwünschte Antwort auf die Frage nach der im Unterricht verwendeten
Varietät sei die „Standardsprache“.
Aus den Interviews geht jedenfalls hervor, dass für die LehrerInnen die Ver-
wendung der Standardsprache im Unterricht oder zumindest im Vortrag das
anzustrebende Ziel ist. Eine Dialektverwendung auf Seiten des Lehrers bzw. der
Lehrerin im Unterricht wurde in den Interviews zumindest implizit als weniger
erwünscht dargestellt. Auf die Frage, welche Varietät sie im Unterricht vorrangig
verwendet, meinte etwa eine Wiener Lehrerin (FW3) mit einem fast entschuldi-
genden Nachsatz: „Hochdeutsch. Aber … wenn ich mit den Kindern plaudere,
dann passiert auch leichter Dialekt.“
Dass die Verwendung der Standardsprache, die offenbar nicht mit österrei-
chischem Deutsch gleichgesetzt wird, im Unterricht zwar erwünscht, aber nicht
selbstverständlich ist, geht aus dieser Interviewpassage mit einem Lehrer aus
dem Burgenland (MB1) hervor:
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR
| Ergebnisse der empirischen Erhebung an
Schulen202
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Title
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Subtitle
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Authors
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 266
- Keywords
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Category
- Lehrbücher
Table of contents
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256