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2.3. DIEZEIT INGEORGENSGMÜND 89
Kriegsbeginn versucht haben, sich davon zu distanzieren.82 Im Sinne meiner im Unter-
abschnitt 2.3.2 getroffenen Einteilung gehörte er also zuerst zur a-Gruppe der aktiven
Unterstützer, aus der er sich dann in die c-Gruppe der Mitläufer zurückziehen wollte.
Unter der Anschuldigung seiner (mutmaßlichen, aber nicht gesicherten) Homosexualität
steckten dieNazis ihn als Verräter von 1940 bis 1945 insGefängnis in Berlin-Tegel bzw.
später insKonzentrationslagerNatzweiler. ImHopfengartenwurdedarübernichtgeredet,
sodaß ich erst Jahrzehnte später davon erfahren habe. Von 1946 bis 1948 kam er dann
wegen seinerNazi-Vergangenheit erneut ins Internierungs- undArbeitslager. Jahre später
hatte er dann endlichwieder eineAnstellung alsBuchhalter beiRadioPruy inNürnberg
gefunden, wo ich ihn auch einmal in seinemBüro besucht hatte. Dadurch bekam ich in
diesemGeschäft Schallplatten zu einem reduzierten Preis. Auch zu jener Zeit empfand
ich ihnals einenzwar sonderbaren, aberdoch liebenswertenOnkel, dermichheute zuden
folgendenGedanken anregt.
Erwar einwilliger, fleißigerAngestelltermit vielleichtnicht allzuhohen intellektuellen,
aber durchaus anderen positivenFähigkeiten.Von der durchHitler initiiertenBewegung
ließ er sich wie viele anderemitreißen und sah in einemWechsel des Arbeitgebers Ende
1934 seine große Chance kommen, vielleicht auch imHinblick auf seineHomosexualität.
Ohne viel nachzudenken hat er dortwieder, wie vorher undnachher auch, alles so getan,
wie seinUmfeldesvon ihmerwartete. ImBilddesbreitenSpektrumsdesVerantwortungs-
anteilswar er einwohl eher harmloser a-Gruppen-Zugehöriger.Auchwenn es sechs Jahre
gebraucht hat, bis er den damit verbundenen Fehler erkannt hatte, scheint er immerhin
früher als andere zurEinsicht gekommen zu sein.Dadurchfiel er dannaber zwischen alle
Stühle und kam sowohl insKZdurch dieNazis als auch insArbeitslager nach demKrieg
wegen derNazis. Er hat seine Fehler damitweitmehr als viele gebüßt, die durch die be-
wußteundaktiveFörderungeinesverbrecherischenSystemsgroßeSchuldauf sichgeladen
haben. Tatsächlich ist ein erschreckend hoher Anteil von diesen nie für diese Schuld zur
Rechenschaft gezogenworden. Vielmehr sind nicht wenige von diesen erstaunlich schnell
nachKriegsendewieder in teils hoheÄmter zurückgekehrt. Bis heute gilt als Faustregel,
daß dieKleinen büßen, dieGroßen aber geschontwerden.
IchhabemichmitdiesenGedankenvonmeinenSchilderungenderunmittelbarenNach-
kriegsjahre ablenken lassenundkehrewieder zudiesemeigentlichenThemazurück.Einer
derHöhepunkte indieserZeitwardieHochzeitmeinesPatenonkelsLoni,der imApril1947
MarianneOeckel ausNürnberg ehelichte.83Damit haben alleKindermeinesGroßvaters,
82Detaillierte Informationenhierzufinden sich in folgender am22.5.2015per eSchreiben eingegangener
Schrift: BarbaraVolkert, DieRackelmanns, privat, 2010.
83FAWB2, S.43, FAHB5, S.20.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427