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2.5. BEGINNDERGYMNASIALZEIT 121
auf dem Hof bei offener Tür sein großes Geschäft verrichtete und gleichzeitig seinen
Knechten undMägden von diesem Thron aus seineAnweisungen für derenArbeit gab.
(Von früherenHerrschernwird ja das gleicheVerhalten berichtet.)
Wirwaren in den erstenGymnasialjahrenwährenddesUnterrichts richtig brave Schü-
ler. Eine Szene aus jenen Jahren (etwa 1953) charakterisiert unsermit demwachsenden
Selbstbewußtsein aufkeimendesAufbegehren.Das betreffendeKlassenzimmer lag imAlt-
bau,mutmaßlich imParterre an der Südostecke. Dieser Bau und seine 6Klassenzimmer
waren in einemdesolatenZustand,was üblicherweise zuweitererVerwahrlosung reizt. Ir-
gendeinKamerad fandheraus,daßmanmitdemLöschpapier indenHeftendenRaumzur
ErheiterungseinerMitschülerverzierenkonnte.Manriß einStückdavonab,durchtränkte
es kauendmit Speichel, formte daraus einen feuchten Klumpen und warf diesen an die
Decke.Dortblieb er fortan, auchnachderDurchtrocknungklebenund zierte soden seit
langemnicht erneuertenAnstrich.Mutproben sindBestandteil des gegenseitigenKräfte-
messens vonHeranwachsenden. So entwickelte sich ein regelrechterWettkampf, derartige
LöschpapierklumpenauchwährenddesUnterrichts zuwerfen, die in immergrößererZahl
Decke undWände zierten oder Mitschüler trafen. Besonders der Mathematikunterricht
des jungenStudienassessorsPaulHupfer, der nochganz in seinemFachaufging, reizte zu
solchen Spielen. Sie kulminierten darin, daß ein solcherKlumpen die Tafel genau an der
Stelle traf, wo der Lehrer gerade seinWissen anschrieb.DessenEmpörungwar natürlich
groß.DerTäterwurde aber nicht verraten undunserVerbanddamit enger zusammenge-
schweißt. So begann sich unter denLehrern ein etwas ungünstigerRuf unsererKlasse zu
verbreiten.
Auchwir hatten als Schüler immerdanndie größteFreude,wennderUnterricht ausfiel
oder durch andere Unternehmungen ersetzt wurde. Unter diesen ragt aus jener Zeit vor
allem ein denkwürdiger, mehrtägiger Schulausflug heraus. Er könnte etwa amEnde der
4tenKlasse,also1952stattgefundenhabenundführteuns indieGegendvonKehlheiman
derDonau.UnserKlassenlehrerwarderbereits obenerwähnteHörmann,derdenAusflug
organisierte und leitete. Er hatte (vermutlich imKrieg) den linkenArm verloren. Umso
bemerkenswerter war, daß er uns vorschlug,mit demFahrrad dorthin zu radeln. Das ist
immerhin eine Strecke von je gut 120km in jedeRichtung.Heutewäre dieDurchführung
eines derartigen Schulausfluges überhaupt nichtmehr denkbar.
SchondieFahrtgestaltete sich fürunsalle zueinemunvergessenenErlebnis.Wir fuhren
aufverkehrsarmenStraßenalsGruppehintereinandermit je zweiSchülernnebeneinander
und hatten dabei größtenUnterhaltungsspaß. Als wir beispielsweise durch einen kleinen
Ort nennenwir ihnHintertupfing fuhren, hörten wir aus irgendeinem Stall lautes
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427