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244 KAPITEL3. ZIELSUCHE
Lektüren danach sehr beeinflußt hat. Ich kauftemir die von ihmpräferierten großenRo-
mane ua. von Musil, Broch, Jahnn und Joyce185 und las sie mit großer Sorgfalt und
Aufmerksamkeit.186Überdies abonnierte ichdie FischerBibliothek der hundertBücher ,
in der einhundertwahrhaft gut ausgewählte klassischeMeisterwerke der abendländischen
Literatur zusammengestellt und in den Jahren 1960 1963 veröffentlichtwurden. All dies
hat mich sogar zu eigenen poetischen Versuchen angeregt.187 Vor diesem Hintergrund
besuchte ich dann auch Vorlesungen in Germanistik bei Friedrich Sengle188 und lotete
mit einem seiner Assistenten die Option eines Studienwechsels hin zu diesem Fach aus.
Glücklicherweise und klugerweise riet ermir davon freundlich, aber überzeugend ab.
Diese im Sommer 1961 intensivierte Beschäftigungmit Philosophie und Literatur hat
mich erstmals zur Niederschrift meiner Gedanken und Reflexionen veranlaßt.189 Rück-
blickend erscheintmir dieser Schritt als sehr entscheidend fürmeineweitereEntwicklung,
da ich von da an lernte, mir zu allen auftretenden Fragen selbst eineMeinung zu bilden
unddiese auch schriftlich festzuhalten. Ichbegannmeinen eigenenWegzu suchenundzu
finden.
Als entscheidendunter den anziehendenKräften erwies sich dann aber die einzigeMa-
thematikvorlesung,die ich inHeidelbergbeiWolframJehne(*1926)190 imWintersemester
überFunktionentheorie II besuchte (denTeil I hatte ich schon inErlangengehört). Jehne
wardamals inHeidelbergnochPrivatdozentundwurdeerstspäteralsProfessornachKöln
berufen, wo er von 1965 bis 1991 lehrte. Ich genoß seine inhaltlich und auch didaktisch
hervorragende Vorlesung dermaßen, daß diese Erfahrung schließlich der wohl entschei-
dendeGrund dafür wurde, ab dem achten Semester dieMathematik anstelle der Physik
zumHauptfachmeines Studiums zumachen, was sich studienmäßig nur als Verlagerung
185RobertMusil, DerMann ohneEigenschaften,Rowohlt, Hamburg, 1952.
HermannBroch,DerTod desVergil, Rhein-Verlag, Zürich, 1958.
Hans Henny Jahnn, Die Niederschrift des Gustav Anias Horn nachdem er neunundvierzig Jahre alt
gewordenwar, I, II undEpilog, EuropäischeVerlagsanstalt, Frankfurt, 1959, 1961.
James Joyce,Ulysses, Rhein-Verlag, Zürich, 1956.
186Die Intensität, mit der die Auseinandersetzung mit dem Inhalt dieser Romane von mir betrieben
wurde, kann man aus einem Brief an Gerd (Fleischmann) ersehen, dessen Entwurf in TBI, S.49ff, zu
finden ist und der auf seinen Brief vom 21.10.1962 antwortet. Darin gehe ich detailliert auf eine Reihe
vonTextstellen aus dem MannohneEigenschaften ein undvergleiche die daraus ersichtlicheMusilsche
Einstellungmit der von Broch. Das Dokument gibt zudem einen Einblick in den regen Austauschmit
Gerd.
187TBI, S.64,83ff.
188https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Sengle, Zugriff 30.3.2016.
Notizen aus seinerVorlesung finden sich imAOReflexionen 1.1.
189Siehe AOR.1.1. Dort findet sich beispielsweise auf S.103ff eine ausführliche Reflexion über meine
bevorstehendeEntscheidung, ggf. dasPhysikstudiumnicht fortzusetzen.
190https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfram_Jehne, Zugriff 16.3.2016.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427