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360 KAPITEL4. FORSCHERLEBEN
Durchmeine Tätigkeit an derWayne State University (s. Abschnitt 4.1) sowie durch
die nachfolgenden Besuche internationaler Konferenzen hatte ichmir eine immer besse-
re Übersicht über die internationale Szene in der KI und allgemeiner in der Informatik
verschaffen können. Auchwennwir zugebenmußten, daß uns dieAmerikaner in derKI-
Forschung weit voraus waren, so wurde doch bald unübersehbar, daß sie diesen Vorteil
auch über Gebühr zu ihren Gunsten nutzten. Es gelang uns, den Freunden jenseits des
Ozeans unser Unbehagen beispielsweise bei denPraktiken derAuswahl derVorträge für
Konferenzenwiedie International JointConferenceonArtificial Intelligence (IJCAI) zum
Ausdruck zubringen.Dies führte zurEinplanung einerPodiumsdiskussion zudieserPro-
blematikaufder IJCAI-1977,die amMIT inBoston stattfand.HierzuwurdenHerrNagel
und ich als Podiumsteilnehmer sowie zu einemBeitrag in denProceedings eingeladen, in
demwir dieKI-Forschung inDeutschland darstellen konnten.137
Konferenzen dienen zum möglichst zeitnahen Austausch von Forschungsergebnissen.
Sie wirken aber auch als Repräsentanten der Bedeutung eines Gebietes. Um die KI als
wichtiges Gebiet in Deutschland sichtbarer werden zu lassen, kam daher schon 1976 die
Idee bei uns auf, eine größere internationale KI Konferenz in Deutschland abzuhalten.
Dies konnte nur an einem Ort mit ausreichender personeller KI-Ausstattung erfolgen,
die damals nur inHamburgundKarlsruhegegebenwar.DeshalbunterstütztenwirHerrn
NagelbeiderAusrichtungeinerKonferenz,dievonderAISB138undderGI inKooperation
1978 inHamburg ausgerichtetwurde.
Das ambitioniertere Ziel war jedoch, die im zweijährigen Turnus stattfindende Inter-
national JointConference onArtificial Intelligence (IJCAI) nachDeutschland zu holen.
137W.Bibel, H.-H. Nagel, Artificial Intelligence inWestern Europe Germany, Proceedings of 5th In-
ternational JointConference onArtificial Intelligence, Boston, 958 959, 1977.
Diese Einladung in einemBrief vom 31.5.1977markiert eine bemerkenswerte Koinzidenz. Denn sie do-
kumentiert, daß ich zu jenem Zeitpunkt international als repräsentativ für das Gebiet der Künstlichen
Intelligenz inDeutschlandangesehenwurde.Zugleicherhielt ichwenigeTagedavordasmitdem20.5.1977
datierte undweiter oben bereits erwähnte Schreiben desDekans an derTUM, in demmir das Scheitern
meines Habilitationsgesuchesmitgeteilt und so die Eignung als Hochschullehrermangels wissenschaftli-
cherQualifikation abgesprochenwurde, eineDiskrepanz, die extremer nicht sein konnte.
Die Einladung gezielt anBibel undNagel demonstriert die immerwieder beobachtbareRationalität der
Amerikaner. Denn sie erging an zwei Forscher, die inDeutschland in derKI fachlich führendwaren und
zugleich aufgrund ihrerHerausgeberschaft desRundbriefs den bestenÜberblick über die sonstigenAkti-
vitäten inDeutschland hatten, während sie die Statusunterschiede völlig ignorierte.
Der Einladungsbrief wird imArchiv der Technischen Universität Darmstadt (TUD) unter Bibel, TU1,
vorgehalten.
DieGestaltungderAbläufe innerhalb der IJCAIwaren auch in denFolgejahren einwichtigesThema, zu
dem es imAO7meinesArchivs unter Korrespondenz etlicheBriefe gibt.
138Die inUKansässige Society for theStudyofArtificial Intelligence and theSimulationofBehaviour
(AISB)war die ersteKI-Organisationweltweit.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Title
- Reflexionen vor Reflexen
- Subtitle
- Memoiren eines Forschers
- Author
- L. Wolfgang Bibel
- Publisher
- Cuviller Verlag Göttingen
- Location
- Göttingen
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 464
- Category
- Biographien
Table of contents
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427