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1965 gehaltenen Rede zur Verleihung des Schiller-Preises folgende Ăberzeugung
festgehalten: âWir, deren Beruf unweigerlich mit öffentlicher Selbstpreisgabe
verbunden ist, sind in bedenklichem MaĂe angewiesen auf oder doch anfĂ€llig
fĂŒr Lob, Ehrung als Erholung von jenem Zweifel, der die Ăffentlichkeit nichts
angeht.â 8 Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, das Spannungsfeld
zwischen Literatur und Literaturkritik, zwischen Àsthetischer ProduktivitÀt,
poetologischer Reflexion und kritischer Rezeption, am Beispiel von Thomas
Bernhard und Peter Handke genauer zu erkunden.
Wenige Autorinnen und Autoren sind, so Wendelin Schmidt-Dengler, âĂŒber
das Ghetto des Innerliterarischen hinaus in Ăsterreich so nachhaltig wahrnehmbar
und wirksam gewordenâ wie Bernhard und Handke.9 Sie setzten wichtige Impulse
fĂŒr die Herausbildung neuer und innovativer literarischer Verfahren, standen aber
auch in besonderer Weise im medialen Rampenlicht, waren Gegenstand von und
Akteure in intensiv gefĂŒhrten Debatten, die im Feuilleton angesehener Tages- und
Wochenzeitungen und in auflagenstarken Boulevardmedien gleichermaĂen aus-
gefochten wurden. FĂŒr ihren gemeinsamen Verleger, Siegfried Unseld, war schon
frĂŒh klar, âwie stark die Stellung von Bernhard und Handke istâ: â[D]iese beiden
charakterisieren im Augenblick die österreichische Literatur, jedenfalls was die
jĂŒngere Generation betrifftâ, konstatiert er 1975 in einem internen Reisebericht.10
Indes war Bernhard und Handke stets bewusst, dass, wie es der elf Jahre jĂŒngere
Handke 1972 im GesprĂ€ch mit Franz Hohler formuliert hat, âgrad bei Literatur ein
Ruhm Kritik erst richtig provoziertâ.11 Die PopularitĂ€t und mediale Sichtbarkeit
der beiden Autoren mag zur âPolaritĂ€t der EinschĂ€tzungenâ 12 in Bezug auf ihre
Arbeiten erheblich beigetragen, die GrÀben zwischen harscher Ablehnung und
begeisterter Zustimmung â sowohl beim allgemeinen Lesepublikum als auch in
der Riege der Kritikerinnen und Kritiker â noch vertieft haben.
Peter Handke galt manchen Kommentatoren, zumal jenen, die dem frĂŒhen âHypeâ
um seine Person skeptisch gegenĂŒberstanden, von Anfang an als âHĂ€tschelkind der
Kritikâ.13 Andere sahen ihn als einen Autor, der sich gerade trotz der WiderstĂ€nde
8 Max Frisch: Schillerpreis-Rede. [1965] In: M. F.: Ăffentlichkeit als Partner. Frankfurt a. M.:
Suhrkamp 1967, S. 90 â 99, hier S. 90.
9 Wendelin Schmidt-Dengler: Bruchlinien II. Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1990
bis 2008. St. Pölten, Wien: Residenz 2012, S. 13.
10 Siegfried Unseld: Reisebericht Wien, 15. â 18.Â
Mai 1975. In: Thomas Bernhard/S. U.: Der Briefwechsel.
Hg. v. Raimund Fellinger, Martin Huber u. Julia Ketterer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2009, S.Â
468.
11 Franz Hohler: Ist Ihnen oft langweilig? Fragen an Peter Handke. [24. 5. 1972] In: F. H.: Fragen
an andere. Bern: Zytglogge 1973, S. 19 â 39, hier S. 35.
12 So der Kommentar in Thomas Bernhard: ErzÀhlungen. Mit einem Kommentar v. Hans Höller.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2001, S. 101.
13 Hans Bertram Bock: Im Taumel der Fremdheit. Interview mit dem Schriftsteller Peter Handke.
In: NĂŒrnberger Nachrichten, 27./28. 8. 1977.
âSchreiben ist ein FĂŒnfkampfâ: Eine Art Einleitung 15
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471