Page - 19 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Einvernehmen stand (z. B. Wolfgang Bauer, Nicolas Born, Klaus Hoffer, Gert
Jonke und Hermann Lenz), sondern er hat im Lauf der Jahre ĂŒber eine Vielzahl
deutschsprachiger und internationaler Autoren â nur Ă€uĂerst selten Autorin-
nen 32Â
â publiziert, sie ausfĂŒhrlich rezensiert, in kurzen Notizen auf sie aufmerksam
gemacht, sie in Vor- und Geleitworten gewĂŒrdigt und in Reden und Laudatio-
nes seiner lesenden Zuneigung versichert. Die BÀnde, die Handkes zunÀchst
verstreut erschienene Arbeiten zur Literatur versammeln,33 zeigen ihn als einen
Autor mit beeindruckendem LektĂŒrepensum und mit eigensinnigem Blick auf
Themen, Formen, Sujets und Verfahren seiner schreibenden Kollegen.34 Neben
Texten zu Schriftstellern des 19. Jahrhunderts (Franz Michael Felder, Franz
Grillparzer, Adalbert Stifter, Christian Wagner u. a.) finden sich viele Arbei-
ten zu fremdsprachigen Autoren, etwa zu John Cheever, Nathaniel Hawthorne,
Iasushi Inoue, Philippe Jaccottet, Gustav JanuĆĄ, Kito Lorenc, Miodrag PavloviÄ,
Tomas Tranströmer oder Dragan VelikiÄ. Der darin zum Ausdruck kommende
Impuls zur Vermittlung zwischen verschiedenen Sprach- und KulturrÀumen
geht mit Handkes TĂ€tigkeit als Ăbersetzer aus dem Amerikanischen, Englischen,
Französischen, Griechischen, Lateinischen und Slowenischen Hand in Hand.
âDie Literaturkritik, diese erste Instanz in der Rezeption zeitgenössischer
Literatur, ist seit sieben Jahren mit der Produktion dieses Autors konfrontiertâ,
hÀlt die Lektorin Anneliese Botond 1970 in einem ersten Materialienband zum
Werk Thomas Bernhards fest: âSie war sehr bald von gegensĂ€tzlichen Positionen,
Attraktionen und Irritationen, bestimmt. Zustimmung und Ablehnung waren
nicht ohne Pathos.â 35 In der ersten HĂ€lfte der 1950er Jahre hatte Bernhard als
Suhrkamp 1992, S. 172 â 181, hier S. 172: âDaĂ ich zu Peter Stephan Jungks Buch Tigor etwas
schreibe, ist ein Freundschaftsdienst. Aber wer sagt, daĂ von einem Freundschaftsdienst nicht
auch ein Dritter etwas haben kann â im Fall hier dieser und jener Leser?â
32 Neben dem 1975 im Spiegel veröffentlichten Radikal-Verriss von Karin Strucks Die Mutter hat
Handke nur wenige Arbeiten ĂŒber Schriftstellerinnen verfasst; Ausnahmen bilden die Texte
ĂŒber Patricia Highsmith (Die privaten Weltkriege der Patricia Highsmith, 1975), Marguerite
Duras (Die Hexenmeisterin, 1992) und Friederike Mayröcker (Fragment zu Friederike
Mayröcker, 2009).
33 Es handelt sich dabei um die folgenden BÀnde, die jedoch auch andere Textsorten sowie BeitrÀge
zur bildenden Kunst, zu Film und Musik enthalten: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms
(1972), Als das WĂŒnschen noch geholfen hat (1974), Das Ende des Flanierens (1980), Langsam im
Schatten (1992), MĂŒndliches und Schriftliches (2002), Meine Ortstafeln. Meine Zeittafeln (2007),
Tage und Werke (2015).
34 Vgl. dazu Karl Wagner: Handke als Leser. In: lesen.heute.perspektiven. Hg. v. Eduard Beutner u.
Ulrike Tanzer. Innsbruck u. a.: StudienVerlag 2010, S.Â
140 â 149, sowie den zuletzt erschienenen
Sammelband: Die tÀgliche Schrift. Peter Handke als Leser. Hg. v. Thorsten Carstensen. Bielefeld:
transcript 2019 (darin besonders die ĂŒberaus instruktive Einleitung des Herausgebers).
35 Anneliese Botond: SchluĂbemerkung. In: Ăber Thomas Bernhard. Hg. v. A. B. Frankfurt a. M.:
Suhrkamp 1970, S. 139 â 141, hier S. 139. âSchreiben ist ein FĂŒnfkampfâ: Eine Art Einleitung 19
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471