Page - 21 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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kritisiert, weil es âden Masochismus der szenebegleitenden Feuilletons immer
heimlich mit einkalkuliertâ.39
Indes hat Bernhard seine charakteristische, âmit ExzeĂ und Hyperbel arbei-
tende SchmĂ€h-Rhetorikâ 40 eben mit besonderer Verve und Ausdauer auch gegen
die Literaturkritik, deren Akteure sowie einzelne âgrauslige[Â
] Kritikenâ 41 in Stel-
lung gebracht. Der Empörung ĂŒber das âZeitungsgewĂ€schâ (TBW 20, 16342) steht
dabei die fortwĂ€hrende Beteuerung gegenĂŒber, sich um die literaturkritische
EinschĂ€tzungen des eigenen Werks eigentlich nicht zu kĂŒmmern, ja sie selbstbe-
wusst zu ignorieren: âDie Rezensionen nahm er belustigt hinâ, notiert Siegfried
Unseld im Juli 1983 nach einem Treffen mit Bernhard, âer beschĂ€ftigte sich zehn
Minuten damit, und dann meinte er, das genĂŒge nun doch wohl. Das Positive
sei langweilig und biete nichts Neues, das Negative trÀfe ihn nicht, weil es falsch
sei.â 43 Zwar lernte er, so der Bernhard-Biograph Manfred Mittermayer, âmit den
Jahren, souverĂ€nerÂ
[âŠ] mit kritischen Reaktionen umzugehenâ, zeigte sich aber
doch âimmer wieder zutiefst von diesen verletztâ.44 Als Herausforderung erweist
sich dabei stets aufs Neue die Frage einer âangemessenenâ Antwort auf kritische
Urteile, etwa die Entscheidung zwischen dem direkten, ad personam gefĂŒhrten
Gegenangriff als Beweis eigener StÀrke einerseits und der betonten Selbstbeherr-
schung als Akt besonnenen Gleichmuts andererseits.
Die vorliegende Arbeit zeichnet Thomas Bernhards und Peter Handkes viel-
schichtige, von der Forschung bislang nicht ausreichend gewĂŒrdigte Ausein-
andersetzung mit der Literaturkritik nach; sie versucht dabei insbesondere zu
zeigen, wie eng die jeweiligen Aversionen der beiden Autoren mit ihrem eigenen
Schreiben, mit der literarischen Ăsthetik ihrer eigenen Arbeiten in Verbindung
stehen â nicht nur im Sinne der instinktiven ZurĂŒckweisung kritischer Urteile,
39 Peter RĂŒhmkorf: Tabu I. TagebĂŒcher 1989 â 1991. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1995, S. 31; die
Passage findet sich auch in ders.: In meinen Kopf passen viele WidersprĂŒche. Ăber Kollegen.
Göttingen: Wallstein 2012, S. 29.
40 Pierre Bourdieu: Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
1998, S. 93.
41 Niklas Frank: Ansichten eines unverbesserlichen Weltverbesserers. [GesprÀch mit Thomas
Bernhard.] In: stern, Nr. 24, 4. 6. 1981, S. 160 â 162, hier S. 162.
42 Die Wendung stammt aus Bernhards TheaterstĂŒck Elisabeth II. (1987). Seine Werke werden
im Folgenden nach der im Suhrkamp Verlag erschienenen 22-bÀndigen Werkausgabe (hg. v.
Martin Huber u. Wendelin Schmidt-Dengler. Frankfurt a. M., Berlin: Suhrkamp 2003 â 2015)
zitiert und mit der Sigle âTBWâ, Band- und Seitenzahl im FlieĂtext ausgewiesen.Â
â Die BĂŒcher
Peter Handkes hingegen werden, da eine vollstÀndige Werkausgabe zum Zeitpunkt der Abfas-
sung dieser Arbeit noch nicht vorlag â die 2018 erschienene 14-bĂ€ndige Handke Bibliothek ist
als bloĂe Leseausgabe konzipiert â, nach den Erstausgaben zitiert.
43 Unseld: Reisebericht Salzburg, 26. â 29. Juli 1983. In: Bernhard/Unseld: Der Briefwechsel
(Anm. 10), S. 676.
44 Manfred Mittermayer: Thomas Bernhard. Eine Biografie. Salzburg, Wien: Residenz 2015, S.Â
14.
âSchreiben ist ein FĂŒnfkampfâ: Eine Art Einleitung 21
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471