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direkt an die Autorinnen und Autoren einer solchen âNicht-Literaturâ, dieÂ
â aus
Sicht des Polemikers â zentrale Anforderungen an ihre Texte im Sinne einer
Ă€sthetischen oder moralischen Norm nicht erfĂŒllen. Geht man von einer sol-
chen manichÀischen Unterscheidung aus, hat dies in weiterer Konsequenz zur
Folge, dass den Verfassern von âUn-BĂŒchernâ der Status als legitime Akteure
im literarischen Feld aberkannt wird â von Matt spricht hier von einem nicht
bloĂ in Kauf genommenen, sondern beabsichtigten âAkt der sozialen Tötungâ.7
Andererseits lassen sich entsprechende Urteile, die den Texten anderer Auto-
ren ihren Literatur- bzw. Kunstcharakter und damit den Verfassern die âBezeich-
nung Schriftsteller ĂŒberhauptâ 8 absprechen, auch auf jene Institutionen beziehen,
denen derlei Ordnungs- und Klassifizierungslizenzen gewöhnlich vorrangig
zugestanden werden: Noch im April 2012 hat Peter Handke in Bezug auf Werke,
die aus Schreibschulen hervorgegangen sind, eine Trennung zwischen âLiteraturâ
und âNicht-Literaturâ vorgenommen, wobei sein Ressentiment durchaus kultur-
konservative ZĂŒge offenbart: âDas ist keine Literatur. Den Kritikern wĂŒrde ich
daher auch nahelegen, in den Feuilletons wirklich zu trennen, was Literatur ist
und was nicht. Das sollen sie endlich wieder machen!â 9 Handkes Einwand richtet
sich hier nicht bloĂ gegen die Autoren selbst, sondern ausdrĂŒcklich auch gegen
das Feuilleton, das keinen Mut zu einer strikten Trennung mehr aufbringe.
Taxieren und kritisieren literarische Autoren in unterschiedlichen Kon-
texten â in Interviews, Reden, Essays, Rezensionen, aber auch in fiktionalen
Genres â die LegitimitĂ€t konkurrierender Schreibprojekte oder hinterfragen
die bestehende WertschÀtzung kanonisierter Texte, stehen diese Statements
gleichzeitig in einem wiederum distinktiven Bezug zu den Rede- und Schreib-
weisen der âKlassifizierungsexperte[n]â 10 in Literaturkritik und Literaturwissen-
schaft. Oder mit anderen Worten: Interpretiert man polemische Attacken gegen
Konkurrenten und Traditionen in den medialen KanÀlen des Literatur- und
M. J. u. N. C. W. TĂŒbingen: Niemeyer 2005, S.Â
1 â 24, hier S.Â
23, findet dieser âKampfâ nicht zuletzt
an der âSchnittstelle zwischen Literatur und Nicht-Literaturâ â und damit im hier skizzierten
Spannungsfeld â statt. Dazu ausfĂŒhrlich Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und
Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999, S.Â
353 â 360. Zum âTerminus
âLiteraturââ als umkĂ€mpftem âEhrenbegriffâ vgl. auch Stephen Greenblatt: Erich Auerbach und
der New Historicism. Bemerkungen zur Funktion der Anekdote in der Literaturgeschichts-
schreibung. In: S. G.: Was ist Literaturgeschichte? Mit einem Kommentar v. Catherine Belsey.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000, S. 73 â 100, hier S. 95.
7 von Matt: Grandeur und Elend literarischer Gewalt (Anm. 1), S. 35.
8 Bourdieu: Die Regeln der Kunst (Anm. 6), S. 353.
9 Peter Handke/Thomas Oberender: Nebeneingang oder Haupteingang? GesprĂ€che ĂŒber 50Â
Jahre
Schreiben fĂŒrs Theater. Berlin: Suhrkamp 2014, S. 54.
10 Sigrid Löffler: Die versalzene Suppe und deren Köche. Ăber das VerhĂ€ltnis von Literatur, Kritik
und Ăffentlichkeit. In: Literaturkritik. Theorie und Praxis. Hg. v. Wendelin Schmidt-Dengler
u. Nicole Katja Streitler. Innsbruck, Wien: StudienVerlag 1999, S. 27 â 39, hier S. 29.
âich kann mich damit schwer abfindenâ: Kritik der Kritik als
Werkpolitik28
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471