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wer âaus eigener Machtvollkommenheit darĂŒber befinden kann, wer Schriftsteller
istâ;14 das Problem der Legitimation erweist sich also insbesondere als Problem
der Legitimationsinstanz. Spricht demnach Peter Handke in einer im MĂ€rz 1987
verfassten, aber erst nach Bernhards Tod publizierten Notiz seinem schÀrfsten
Konkurrenten den Status als ernstzunehmender Autor ab, indem er dessen Texte
zur âNicht-Literaturâ erklĂ€rt,15 dokumentiert dies nicht nur den schwelenden
Konflikt zwischen den beiden Schriftstellern, den Handke schon im vorange-
gangenen Herbst öffentlich angeheizt hatte: âWas der Thomas Bernhard macht,
in Ehren, aber fĂŒr mich ist das keine Literatur.â 16 Neben der naheliegenden Deu-
tung als EinsÀtze im Kampf zwischen zwei Akteuren im literarischen Feld, die
eine im Laufe der Jahre sorgsam kultivierte gegenseitige Aversion verband, sind
solche Invektiven eben auch als pointierte BeitrÀge zu einer grundlegenderen
Diskussion um Wert und Bewertung literarischer Texte zu verstehen. Handkes
Bemerkung lÀsst sich zudem auf den von ihm konstatierten Umstand bezie-
hen, Bernhard sei ein Liebkind der Literaturkritik und verdanke seinen Erfolg
zuallererst dem Einfluss professioneller Leser, wie Handke bereits 1972 André
MĂŒller gegenĂŒber mit einer zweifachen polemischen Volte festgestellt hatte: âDer
Thomas Bernhard, der hat viel Erfolg bei den Literaturkritikern, was eventuell
daher rĂŒhrt, daĂ durch das, was er schreibt, die Existenz der Literaturkritiker
befriedigt wird in diesem miesen GefĂŒhl, Literaturkritiker zu sein.â 17
Der Eintrag von Herbert Jaumann im Reallexikon der deutschen Literatur-
wissenschaft definiert Literaturkritik als âjede Art kommentierende, urteilende,
denunzierende, werbende, auch klassifizierend-orientierende ĂuĂerung ĂŒber
Literaturâ, worunter nicht zuletzt die prekĂ€re Bestimmung dessen falle, âwas
14 Bourdieu: Die Regeln der Kunst (Anm. 6), S. 354.
15 Vgl. Handke: Am Felsfenster morgens (Anm. 2), S. 452: âJetzt weiĂ ich: Literatur muĂ einen
Duft haben, freiwerdend nur durch den freien Leser (und Nicht-Literatur, wie die von Thomas
B., hat keinen Duft)â. In einer 1987, also zu Lebzeiten Bernhards, in den manuskripten publi-
zierten Fassung des Notats hatte Handke den Verweis auf seinen Konkurrenten noch unter-
drĂŒckt: âJetzt weiĂ ich: die Literatur muĂ einen Duft haben, nur durch das Lesen freiwerdend;
Nicht-Literatur ist daran zu erkennen, daĂ sie keinen Duft hatâ (Peter Handke: Am Felsfenster,
morgens. In: manuskripte 27 [Oktober 1987], H. 97, S. 3 â 9, hier S. 3).
16 Sigrid Löffler: Der Mönch auf dem Berge. [GesprÀch mit Peter Handke.] In: profil, Nr. 47,
17. 11. 1986, S. 98 â 102, hier S. 102. Handkes Aussagen hatten zuerst, am 25. 11. 1986, einen
Beschwichtigungsbrief Siegfried Unselds an Bernhard zur Folge, in dem er âdie ĂuĂerungen
des âMönchs auf dem BergeâÂ
[âŠ], wenn sie so gefallen sindâ, als âtöricht, dumm, unverzeihlich,
geschmacklosâ bezeichnete (Thomas Bernhard/Siegfried Unseld: Der Briefwechsel. Hg. v.
Raimund Fellinger, Martin Huber u. Julia Ketterer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2009, S. 760),
sowie gegen Ende des Jahres eine an Handke gerichtete Ermahnung des gemeinsamen Verlegers
(vgl. Peter Handke/Siegfried Unseld: Der Briefwechsel. Hg. v. Raimund Fellinger u. Katharina
Pektor. Berlin: Suhrkamp 2012, S. 526).
17 AndrĂ© MĂŒller: Im GesprĂ€ch mit Peter Handke. Weitra: Bibliothek der Provinz 1993, S. 43.
âich kann mich damit schwer abfindenâ: Kritik der Kritik als
Werkpolitik30
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471