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die durch die Premiere der Publikumsbeschimpfung noch verstĂ€rkt wurde, fĂŒhrte
sie andererseits dazu, dass die literarische Faktur der Hornissen, etwa ihr spezi-
fischer Einsatz in der Diskussion um den âNeuen Realismusâ, tendenziell weniger
intensiv beachtet wurde. WĂ€hrend der Princetoner âMediencoupâ 60 und seine
Nachwehen ganz wesentlich zur plötzlichen Prominenz Handkes beitrugenÂ
â und
er diesen RĂŒckenwind durchaus fĂŒr sich zu nutzen verstand â, standen sie der
unvoreingenommenen Rezeption seiner literarischen Arbeiten zugleich im Weg.61
Seine Publicity geriet dem jungen Schriftsteller dabei schnell zum Vorwurf:
âĂber diesen Roman wĂ€renâ, so Hellmuth Karaseks exemplarische EinschĂ€tzung
im Feuilleton der SĂŒddeutschen Zeitung,
nicht so viele böse Worte zu verlieren, gÀlte der Autor nicht seit seinem Auftritt
in Princeton bei der Gruppe 47 als eine Art Jung-Siegfried, der den Drachen einer
ErzÀhlmaschine, die nichts zu sagen habe, mutig (wenn auch wenig artikuliert) zum
Zweikampf herausforderte. Nach der LektĂŒre der âHornissenâ weiĂ man wenigstens,
daà Handke mit exakt den gleichen Waffen kÀmpft, wie diejenigen ErzÀhler, bei deren
Prosa ihm zu Recht der Kragen platzte. Handke hat sich in Princeton in das eigene
Hornissennest gesetzt.62
Ganz Àhnlich argumentierten andere prominente Literaturjournalisten in
Deutschland, etwa Fritz J. Raddatz, der Handke in den Frankfurter Heften beschei-
nigte, dass sein âkritischer Anspruchâ, den er in Princeton wortmĂ€chtig formuliert
habe, âleider durch seine eigene literarische pop-Collage nicht erfĂŒllt werdeâ; der
Roman Die Hornissen strande âan haargenau jenem Riffâ, âdas Handke nun als
so gefĂ€hrlich charakterisierte: eine bloĂe Deskriptionsprosa, kĂŒhl dargeboten,
vertrauend darauf, daĂ die PhĂ€nomene sich selber erklĂ€renâ.63 Der DebĂŒtant hatte
in seinem vielzitierten Statement nach Hermann Peter Piwitts Lesung von einer
Krise der âdeutschen Prosaâ gesprochen, die ihr âHeilâ gegenwĂ€rtig âin einer
bloĂen Beschreibungâ suche und dabei eine veritable âBeschreibungsimpotenzâ
60 Heribert Tommek: Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur. Studien zur Geschichte des lite-
rarischen Feldes in Deutschland von 1960 bis 2000. Berlin, Boston: de Gruyter 2015, S. 133.
61 In seiner Ăkonomie der Aufmerksamkeit hat Georg Franck sich ausfĂŒhrlich mit dem problema-
tischen VerhĂ€ltnis zwischen QualitĂ€t und QuantitĂ€t von Aufmerksamkeit beschĂ€ftigt â etwa
damit, âdaĂ es bei der Beachtung, die bezogen wird, nicht gleichgĂŒltig ist, von wem sie kommtâ
(Georg Franck: Ăkonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. MĂŒnchen, Wien: Hanser 1998,
S.Â
116). Vgl. auch ebd., S.Â
79 â 84 u.Â
121 â 126 sowie zur âSelektivitĂ€t im Umgang mit empfangener
Aufmerksamkeitâ S. 217 f.
62 Hellmuth Karasek: Handke, wo ist dein Stachel? In: SĂŒddeutsche Zeitung, 25./26. 6. 1966.
63 Fritz J. Raddatz: Die Bilanz von Princeton. [1966] In: Die Gruppe 47. BerichtÂ
â KritikÂ
â Polemik.
Ein Handbuch. Hg. v. Reinhard Lettau. Neuwied, Berlin: Luchterhand 1967, S. 241 â 247, hier
S. 244 f.
âich kann mich damit schwer abfindenâ: Kritik der Kritik als
Werkpolitik42
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471