Page - 43 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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offenbare;64 nun wurde ihm dieser Vorwurf von vielen Kritikern postwendend
zurĂŒckgereicht. Er habe sich, so der Tenor zahlreicher Kommentare im FrĂŒh-
jahr 1966, in den Hornissen gerade jener Verfehlungen schuldig gemacht, die er
in Princeton so vehement und pauschal kritisierte.
Bereits eine Woche vor Karaseks Rezension in der SĂŒddeutschen Zeitung hatte
sich Handke mit der dringlichen Frage an Unseld gewandt, was âmanâ gegen die
seiner EinschĂ€tzung nach âunsensibel, unintelligent, gehĂ€ssig geschriebenen Kri-
tikenâ seines Buches âunternehmen könnteâ; denn er lasse sich âSchwĂ€chenâ nur
in jenen FĂ€llen âgern nachsagenâ, âwenn sich die Besprechung dem Niveau mei-
nes Buches anpaĂtâ 65Â
â ein Kriterium, das Handke in vielen Rezensionen seines
DebĂŒts offensichtlich nicht erfĂŒllt sah. Schon in seinem Princetoner Statement,
das im Gefolge von Erich Kubys groĂer Spiegel-Story zum Literaturbetriebs-
ereignis stilisiert werden sollte,66 attestierte Handke den Literaturkritikern der
Gruppe 47, mit einem âĂŒberkommene[n] Instrumentariumâ zu hantieren, das
sich bestenfalls noch zur ErschlieĂung Ă€sthetisch konventioneller Texte eigne:
âWeil die Kritik ebenso lĂ€ppisch ist wie diese lĂ€ppische Literatur.â 67 Wiederholt
von GelÀchter und Zwischenrufen unterbrochen und wohl nicht zuletzt deshalb
eher tastend als selbstbewusst sprechend,68 formulierte Handke zunÀchst recht
64 Im Wortlaut: Peter Handkes âAuftrittâ in Princeton und Hans Mayers Entgegnung. In: Text + Kri-
tik (51989), H. 24, S. 17 â 20, hier S. 17.
65 Handke an Unseld, 20. 6. 1966. In: Handke/Unseld: Der Briefwechsel (Anm. 16), S. 34. â 1968
hat Martin Walser in einer Reflexion ĂŒber die TĂ€tigkeit des Kritikers dies Ă€hnlich pointiert
formuliert: âSchlieĂlich möchte man in der Beschreibung der eigenen MĂ€ngel wenigstens das
Niveau gewahrt sehen, auf dem man diese MĂ€ngel selbst zur Schau stellte.â (Martin Walser:
Tagtraum, daĂ der Kritiker ein Schriftsteller sei. In: Kritik â von wem / fĂŒr wen / wie. Eine
Selbstdarstellung deutscher Kritiker. Hg. v. Peter Hamm. MĂŒnchen: Hanser 1968, S.Â
11 â 14, hier
S. 11)
66 Vgl. Erich Kuby: Ach ja, da liest ja einer. In: Der Spiegel, Nr.Â
19, 12. 5. 1966, S.Â
154 â 165. Handke
antwortete mit einem satirischen Leserbrief. Vgl. Peter Handke: Pantoffeln. In: Der Spiegel,
Nr. 22, 23. 5. 1966.
67 Handke: Im Wortlaut (Anm. 64), S. 18. Vgl. Terhorst: Die Entstehung literarischen Ruhms
(Anm. 53), S. 11: âHandke opponierte nicht allein gegen die vorgetragene Literatur, sondern
auch gegen die Art von Kritik, wie sie von professioneller Seite wĂ€hrend der Tagung geĂ€uĂert
wurde.â
68 Vgl. Karl Wagner: Handke und die Gruppe 47. In: Zwischen Aufbegehren und Anpassung. Poe-
tische Figurationen von Generationen und Generationserfahrungen in der österreichischen
Literatur. Hg. v. Joanna Drynda. Frankfurt a. M. u. a.: Lang 2012, S. 121 â 132, hier S. 125, sowie
Helmut Böttiger: Nach den Utopien. Eine Geschichte der deutschsprachigen Gegenwarts-
literatur. Wien: Zsolnay 2004, S. 48 f.: âDie Stimme war schĂŒtter, manchmal drohte sie gar zu
versagen, und anfangs stotterte und stocherte es [sic] zwischen den eigentlich Ă€uĂerst gehar-
nischten Aussagen herum.â â Der Mitschnitt der Lesungen und der anschlieĂenden Diskus-
sionen ist auf der Website des Department of German an der Princeton University verfĂŒgbar;
vgl. https://german.princeton.edu/department/about/resources/gruppe-47-recordings (Stand
Handkes Hornissen nach Princeton 43
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471