Page - 47 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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auf die Lesungen in Princeton und noch neugieriger auf die Kritik der Lesungenâ
gewesen zu sein.85 TatsĂ€chlich bezieht Handke im Laufe seines EssaysÂ
â zunĂ€chst
unter dem plakativeren Titel Beschreibungsimpotenz in der Zeitschrift konkret
gedruckt, die dem politisch linken Spektrum zuzurechnen warÂ
â wiederholt die
Instanz der Literaturkritik in seine Formulierung eines UngenĂŒgens mit ein: So
wĂŒrden nicht nur in einer âneu aufkommenden Art von Literatur [âŠ] Dinge
beschrieben, ohne daĂ man ĂŒber die Sprache nachdenktâ,86 auch die Kritik sei
nicht in der Lage, die von Handke geforderte, theoretisch informierte Reflexion
ĂŒber die ZusammenhĂ€nge von Sprache und âWirklichkeitâ, ja von signifiĂ© und
signifiant im Sinne de Saussures zu leisten:
Es wird vernachlÀssigt, daà die Welt nicht nur aus den GegenstÀnden besteht, sondern
auch aus der Sprache fĂŒr diese GegenstĂ€nde. [âŠ] Anstatt so zu tun, als könnte man
durch die Sprache schauen wie durch eine Fensterscheibe, sollte man die tĂŒckische
Sprache selber durchschauen und, wenn man sie durchschaut hat, zeigen, wie viele
Dinge mit der Sprache gedeht [sic] werden können. Diese stilistische Aufgabe wÀre
durchaus, dadurch, daĂ sie aufzeigte, auch eine gesellschaftliche. / In Princeton nun
muĂte ich hören, wie sehr das sogenannte gesellschaftliche Engagement des Schrift-
stellers von den Kritikern in der Gruppe 47 an den Objekten gemessen wurde, die er
beschreibt, und nicht an der Sprache, mit der er diese Objekte beschreibt.87
In einem von Horst Ziermann herausgegebenen Dokumentationsband zu den
Diskussionen um die Gruppe 47 wurde Handkes Polemik unter dem Titel FĂŒr eine
neue Literatur kurz darauf erneut, aber deutlich gerafft abgedruckt; einige jener
Passagen, die sich der Literaturkritik widmen, fielen dabei den KĂŒrzungen zum
Opfer.88 Als die Gruppe 47 im Oktober 1967 in der oberfrĂ€nkischen PulvermĂŒhle
ihr letztes Treffen abhielt, begrĂŒndete Handke seine Absage â Richter hatte ihn
trotz seiner Skepsis gegenĂŒber dem jungen Autor erneut eingeladenÂ
â ausdrĂŒcklich
85 Peter Handke: Zur Tagung der Gruppe 47 in USA. [1966] In: P. H.: Ich bin ein Bewohner des
Elfenbeinturms. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1972, S. 29 â 34, hier S. 29; Erstdruck in konkret
(Nr. 6, 1966) unter dem Titel Beschreibungsimpotenz. Zur Tagung der Gruppe 47 in USA.
86 Ebd., S. 29.
87 Ebd., S. 30 f. Vgl. zu diesem Aspekt im Kontext der Princetoner Tagung Magenau: Princeton
66 (Anm. 77), S. 142. â Gerhard Pfister: Handkes Mitspieler. Die literarische Kritik zu Der
kurze Brief zum langen Abschied, Langsame Heimkehr, Das Spiel vom Fragen, Versuch ĂŒber die
MĂŒdigkeit. Bern u. a.: Lang 2000, S. 287 f., hat mit Blick auf die literaturkritische Rezeption
Handkes konstatiert, dass â[d]ie grösste Zahl der Kritiker [âŠ] nach wie vor die Texte darauf
hin [betrachte], was sie an RealitĂ€t abbilden, nicht, wie sie RealitĂ€t bilden.â (Herv. H. G.)
88 Vgl. Peter Handke: FĂŒr eine neue Literatur. In: Gruppe 47. Die Polemik um die deutsche Gegen-
wartsliteratur. Eine Dokumentation. Hg. v. Horst Ziermann. Frankfurt a. M.: Wolter Editionen
1966, S. 51 â 54. Handkes Hornissen nach Princeton 47
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471