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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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erschöpfen, und in der Folge eine ganze „Generation junger Schriftsteller“ eines unproduktiven „introvertierten Herumkramens“ bezichtigt, das sich bevorzugt in Varianten von „Harfezupfen und Schalmeienblasen“ ergehe, statt mit „Emotion“ und „Erregung“ einer „robusten MaskulinitĂ€t“, die er gegen das ‚Schöngeistige‘ der Handke-Generation setzt, Ausdruck zu verleihen.134 Interessanterweise bringt Lind diese von ihm diagnostizierte Fehlentwicklung der Gegenwartsliteratur in einen direkten kausalen Nexus mit der literaturkritischen Praxis von „Mayer, Reich-Ranicki, Jens, Höllerer, Baumgart und Kaiser“, verdanke man deren „For- malitĂ€t“ und „literarische[m] Preußentum“ doch den Umstand, „daß sich heute ‚die Jungen‘ mit StilĂŒbungen und SchriftgeplĂ€tscher beschĂ€ftigen“.135 Linds Insulta- tion hĂ€tte Handke wohl kaum empfindlicher in seinem SelbstverstĂ€ndnis und in seinen Ambitionen treffen können: Hatte er sich in seinem Statement in Prince- ton und seiner ‚Nachschrift‘ in konkret gerade gegen diese ‚lĂ€ppischen Kritiker‘ gerichtet, denen er jegliches Sensorium fĂŒr innovative Textformen und „neue Sprachgestik[en]“ 136 absprach, zeichnete Lind ihn nun  – durchaus perfide  – als Produkt von deren Ă€sthetischen PrĂ€ferenzen. Bedenkt man die Tragweite von Jakov Linds Kritik, reagierte Handke in den Akzenten beinahe ĂŒberraschend abgeklĂ€rt: „Zu einer programmatischen ErklĂ€- rung ĂŒber meine Arbeit bin ich im Augenblick nicht aufgelegt“, setzt Handke unaufgeregt ein, um seinen Kontrahenten sogleich en passant einer konservati- ven Fraktion zuzuschlagen, die das innovative Potential von Handkes Schreiben nicht wertzuschĂ€tzen imstande sei: „Was Jakov Lind sagt, sagt er halt. Den Fort- gang der Literatur wird er nicht aufhalten.“ 137 Handke verfolgt hier jene Strate- gie, die Pierre Bourdieu in Die Regeln der Kunst als wichtiges Grundmuster der Entwicklung im literarischen Feld beschrieben hat: Indem er die Ästhetik des 134 Lind: Zarte Seelen, trockene Texte (Anm.  59), S.  79. Vgl. ebd.: „Handkes Buch regt zu einer allgemeinen Frage an: Was ist von einer Literatur ohne Themen und was von einer Sprache zu halten, die es fertigbringt, gleichzeitig wortreich und nichtssagend zu sein? Ich bin nicht sicher, ob man, wie es seit Jahr und Tag in der Gruppe 47 behauptet wird, nur den Stil und nichts als den Stil beurteilen soll. Das mag dem Germanisten genĂŒgen, ein normaler Mensch [!] aber will etwas erfahren, möglichst etwas Interessantes, oder zumindest von irgend etwas berĂŒhrt, betroffen werden.“ Magenau: Princeton 66 (Anm.  77), S.  180, bezieht Linds Verriss auf Handkes Princetoner Polemik, die eine „versteckte Selbstkritik“ im Sinne einer „verborgene[n] Einsicht ins eigene Unvermögen“ vorgestellt habe. 135 Lind: Zarte Seelen, trockene Texte (Anm.  59), S.  79. Gleichzeitig verteidigt Lind die Kritiker gegen Handkes pauschale VorwĂŒrfe, treffe diese doch „die geringste Schuld am allgemein fest- zustellenden Unbehagen gegenĂŒber der zeitgenössischen Literatur“ (Terhorst: Die Entstehung literarischen Ruhms [Anm.  53], S.  47). 136 Handke: Im Wortlaut (Anm.  64), S.  18. 137 Peter Handke: Wenn ich schreibe. In: Akzente 13 (1966), H.  5, S.  467. In der Debatte zwischen Handke und Lind meldeten sich auch andere Schriftsteller, etwa Adolf Muschg, zu Wort. Vgl. Adolf Muschg: Ein Brief. In: Akzente 13 (1966), H.  5, S.  478 – 479. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 57 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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