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„Auf Anhieb ein Kunstwerk von hohen Graden zu schaffen“, sei „jungen
Schriftstellern nur in raren Ausnahmefällen, die wir alle kennen, man denkt an
Rimbaud, Grabbe, Kleist, Hölderlin, Lenau, Trakl, beschieden“, so der Rezensent
der Wiener Furche, Johann A. Boeck, und er setzt nachgerade euphorisch hinzu:
„Einen solchen Ausnahmefall schuf Thomas Bernhard“.96 Die „leidenschafts-
heiße[
] Sprache“ des 1963 im Insel Verlag publizierten Debüts Frost besitze, wie
es abschließend mit großer Emphase heißt, „eine in der jüngeren deutschen Prosa
selten auch nur annähernd erreichte Stoßkraft“.97 Die aus der Süddeutschen Zei-
tung übernommene Besprechung von Otto F. Beer bescheinigt dem jungen Autor
in Neues Österreich, „sich mit diesem Romanerstling ungemein kräftig eingeführt
und als ein Menschengestalter von unverwechselbarer Originalität ausgewiesen“
zu haben,98 während die Salzburger Nachrichten ihm trotz Einwänden im Detail
„erstaunliche[
] Begabung“ attestierten 99 und das Salzburger Volksblatt das Buch
ungeachtet der wenig schmeichelhaften Zeichnung der ländlichen Bevölkerung
im Salzburger Pongau ebenfalls freundlich aufnahm:
Thomas Bernhard malt grau in grau: Und dennoch nimmt seine minuziöse Schilderung
des Auslöschens eines Außenseiters, eines Abseitigen des Lebens, mit beklemmender
Intensität gefangen. Der Dichter Thomas Bernhard schreibt einen ungekünstelten, wie
mit unbewußter Sicherheit zupackenden Stil. Er erzählt in einer Sprache, die keine
Umwege geht. Sein erster Roman schon ist kein Buch unter vielen.100
Hg. v. Wendelin Schmidt-Dengler, Adrian Stevens u. Fred Wagner. Frankfurt a. M. u. a.: Lang
1997, S. 1 – 23, hier S. 14.
96 Johann A. Boeck: Die bitteren Träume. In: Die Furche, 19. 10. 1963.
– Dieser und die folgenden
Rezensionsbelege stammen aus der Mediendokumentation des Siegfried-Unseld-Archivs im
Deutschen Literaturarchiv Marbach.
97 Ebd.
98 Otto F. Beer: Der innere Frost. In: Neues Österreich, 7. 9. 1963. Zuerst erschienen als ders.:
Endspiel im Salzburgischen. In: Süddeutsche Zeitung, 17./18. 8. 1963. Dazu Anneliese Botonds
Brief an Thomas Bernhard vom 21. 8. 1963, unmittelbar nach Erscheinen der Rezension: „Ich
hoffe, das Lob, das die Presse, zuletzt die ‚Süddeutsche Zeitung‘ Ihrem Roman zollt, wird sie
beflügeln.“ (Anneliese Botond: Briefe an Thomas Bernhard. Mit unbekannten Briefen von
Thomas Bernhard. 1963 – 1971. Hg. v. Raimund Fellinger. Mattighofen: Korrektur 2018, S. 24)
Der Name Otto F. Beers findet sich bereits in einem frühen journalistischen Beitrag des Rezen-
senten Thomas Bernhard, der für das Demokratische Volksblatt eine Veranstaltung im Salzbur-
ger „Amerika-Haus“ besucht hatte (27. 2. 1954), bei der das von Beer ins Deutsche übertragene
Stück Ah, Wilderness! von Eugene O’Neill in einer „Leseaufführung“ präsentiert worden war
(TBW 22.1, 341); 1987 kommentierte Bernhard in einem Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung
einen dort veröffentlichten Bericht Beers über die Wiener Aufführung von Peter Ronnefelds
Oper Die Nachtausgabe (vgl. TBW 22.1, 686 – 688).
99 A. H.: Thomas Bernhards „Frost“ der Einsamkeit. In: Salzburger Nachrichten, 21. 12. 1963.
100 haku: „Frost“ überm Pongau. In: Salzburger Volksblatt, 21./22. 12. 1963.
„vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 91
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471