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âder meinen verdecktâ;144 Canetti sah sich als Mentor und Vorbild des nunmehr
gefeierten Autors nicht ausreichend gewĂŒrdigt. âDie Preise, die ich habeâ, so
Bernhard im August 1972 im GesprĂ€ch mit Karl Ignaz Hennetmair, âbekommt
man gewöhnlich erst, wenn man ein Canetti ist.â 145
Anfang 1976 schlieĂlich kulminierte die allmĂ€hliche Entfremdung der beiden
in einem öffentlich ausgetragenen Konflikt. Canetti wurde im Januar 1976 die
EhrendoktorwĂŒrde der UniversitĂ€t MĂŒnchen verliehen. Er hielt in diesem Rah-
men eine programmatische Rede ĂŒber den Beruf des Dichters, deren kritische
AusfĂŒhrungen Bernhard auf sich und seine Poetik beziehen musste:146
Zu den Worten, die wÀhrend einiger Zeit in hilfloser Ermattung darniederliegen, die
man mied und verheimlichte, durch deren Gebrauch man sich zum Gespött machte,
die man solange entleerte, bis sie verschrumpft und hĂ€Ălich zur Warnung wurden,
gehört âDichterâ. Wer sich auf die TĂ€tigkeit, die wie immer weiterbestand, dennoch
einlieĂ, nannte sich âJemand, der schreibtâ.147
Im 1970 von Ferry Radax produzierten Filmmonolog Drei Tage hatte Bernhard
betont, âkein Schriftstellerâ zu sein, âich bin jemand, der schreibtÂ
âŠâ (TBW 22.2,
59). Zwei Jahre spÀter trug eine von Rudolf de le Roi herausgegebene Anthologie
den Titel Jemand der schreibt; sie enthielt neben dem einschlÀgigen Abschnitt
aus Drei Tage auch einen Beitrag von Canetti.148 Nach einem Seitenhieb auf jene
Autoren, die wie Enzensberger und Boehlich Ende der 1960er Jahre die âkleinliche
144 Elias Canetti: Das Buch gegen den Tod. Mit einem Nachwort v. Peter von Matt. MĂŒnchen:
Hanser 2014, S. 138: âJeder fragt mich nach Thomas Bernhard, jeder will wissen, was ich von
ihm halte. Ich lobe und erklÀre ihn, ich suche ihn allen nahezubringen, ich erhebe [!] ihn zu
meinem SchĂŒler und natĂŒrlich ist erâs [âŠ]. Die Verwicklung alles dessen, was bei Bernhard
von mir kommt, mit Beckett, ist merkwĂŒrdig und offenkundig. Sie ist etwas zu einfach, um
mir wirklich zu gefallen. So muĂ ich hier, fĂŒr mich, feststellen, daĂ ich ihn zu sehr verteidige,
aus einer Art von GroĂmut. Ich bin nicht ganz sicher, ob er sie verdient.â (Ebd.)Â â Dazu Karl
Wagner: Echo. (Nach-)Hall: Beckett, Bernhard, Handke. In: Ein Zoll Dankfest. Texte fĂŒr die
Germanistik. Konstanze Fliedl zum 60. Geburtstag. Hg. v. Susanne Hochreiter u. a. WĂŒrz-
burg: Königshausen & Neumann 2015, S.Â
227 â 244, hier S.Â
231 f.; zu den literarischen EinflĂŒssen
Canettis auf Bernhard vgl. Mittermayer: Thomas Bernhard [2015] (Anm. 42), S. 149 f.
145 Karl Ignaz Hennetmair: Ein Jahr mit Thomas Bernhard. Das versiegelte Tagebuch 1972. St.Â
Pölten
u. a.: Residenz 52014, S. 348 (Eintrag v. 17. 8. 1972).
146 Dass sie eindeutig so intendiert waren, zeigt etwa ein Brief Canettis an Hans Bender, 3. 2. 1976.
In: Canetti: Ich erwarte von Ihnen viel (Anm. 135), S. 523: âSie [i. e. die MĂŒnchner Rede] ist
mir sehr wichtig, aber es könnte sein, dass Ihnen manches daran missfÀllt (z. B. der Angriff auf
Thomas Bernhard zu Beginn).â
147 Elias Canetti: Der Beruf des Dichters. MĂŒnchner Rede, Januar 1976. In: E. C.: Das Gewissen
der Worte. Essays. MĂŒnchen: dtv 1978, S. 257 â 267, hier S. 257.
148 Jemand der schreibt. 57 Aussagen. Hg. v. Rudolf de le Roi. MĂŒnchen: Hanser 1972, S. 64 â 67
(Thomas Bernhard: In der Finsternis wird alles deutlich) u. S.Â
68 â 72 (Elias Canetti: WortanfĂ€lle).
Unfreundliche Betrachtungen: EinwÀnde gegen die
Literaturkritik100
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471