Page - 118 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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ein biĂchen wiedererkannte.â 202 Euphorische Meldungen ĂŒber die journalisti-
sche Kommentierung seiner BĂŒcher, wie die folgende vom Juni 1975, blieben in
der Minderzahl: âIn âLe Mondeâ erschien eine sehr schön geschriebene Bespre-
chung von âWunschloses UnglĂŒckâ, ĂŒber die ich sehr froh war â ich kaufte mir
sofort ein Sommerhemd!â 203 Nur sehr selten habe er beim Lesen einer Rezension
den Eindruck, âthat this critic has a sympathetic understanding of what I have
writtenâ, so Handke Ende der 1970er Jahre im GesprĂ€ch fĂŒr eine amerikanische
Zeitschrift: âThat is very, very good for one who writes.â 204
Deutlich öfter finden sich Berichte ĂŒber ernĂŒchternde Erfahrungen mit den
Kritiken eigener wie fremder Texte: Von der Besprechung eines seiner BĂŒcher
sei er, wie Handke im August 1974 an Nicolas Born schreibt, regelrecht âange-
widertâ gewesen:
Oft ist mein Impuls, zurĂŒckzuschreiben, bitte nichts mehr ĂŒber mich zu verfassen.
Dann kommt mir das zu aufwendig vor, und ich nehme mir vor, es demjenigen ein-
mal mĂŒndlich zu sagen, und wenn ich ihn dann sehe, kommt es mir wieder zu auf-
wendig vor ⊠Es gibt wahrhaftig keinen, der ĂŒber Literatur schreibt, dem ich auch
nur einen Atemzug lang vertraue.205
Borns ernĂŒchterten Hinweis auf einen boshaften Verriss seines Romans Die
erdabgewandte Seite der Geschichte â âDen Artikel im Spiegel wirst Du ja wohl
gelesen haben, von diesem hĂ€mischen Nagetier Schoberâ 206 â beantwortete
Handke im Herbst 1976 postwendend mit aufmunternden Invektiven gegen
den Kritiker: âBei Schober habe ich nicht einmal den Kopf geschĂŒttelt. Er ist
eine der wirklich von auĂen und innen tristen Gestalten, mit denen der Kultur-
betrieb ja vollgestopft ist und die ihre dauernde schlechte Laune als kritische
202 Peter Handke an Alfred Kolleritsch, 31. 3. 1972. In: P. H./A. K.: Schönheit ist die erste BĂŒrger-
pflicht. Briefwechsel. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2008, S. 56. Eine fast wortgleiche ĂuĂe-
rung Handkes findet sich in Volker Hage: Die Fiktion ist nötig. [GesprÀch mit Peter Handke,
MÀrz 1972] In: V. H.: Die Wiederkehr des ErzÀhlers. Neue deutsche Literatur der siebziger Jahre.
Frankfurt a. M. u. a.: Ullstein 1982, S. 111 â 121, hier S. 118: âWas Baumgart jetzt ĂŒber âDer kurze
Brief zum langen Abschiedâ geschrieben hat in der âSĂŒddeutschenâ, fand ich schön. Das war
eines der ersten Male in meinem Leben, daĂ ich mich wiedererkannt habe. Da ist man irgend-
wie froh drĂŒber. Wenn woanders geschrieben wird, das sei groĂartig und toll, macht mich das
dagegen ganz unzufrieden.â
203 Handke an Unseld, 15. 6. 1975. In: Handke/Unseld: Der Briefwechsel (Anm. 2), S. 291.
204 June Schlueter: An Interview with Peter Handke. [1979] In: Studies in 20th Century Literature
4 (1980), H. 1, S. 63 â 73, hier S. 71 f.
205 Peter Handke an Nicolas Born, 28. 8. 1974. In: N. B., P. H.: Die Hand auf dem Brief. Briefwechsel
1974 â 1979. In: Schreibheft (2005), H. 65, S. 3 â 35, hier S. 6.
206 Born an Handke, 11. 10. 1976. In: ebd., S. 16.
Unfreundliche Betrachtungen: EinwÀnde gegen die
Literaturkritik118
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471