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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Page - 123 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

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So wĂ€re es nun kein Unding, aus den anfangs aufgereihten banalen Worten, die nach dem Lesen des Buches automatisch gekommen sind, einen ebenso banalen Satz zu bilden, diesen zum Beispiel: „Pavese erzĂ€hlt im ‚Schönen Sommer‘ die alte Geschichte eines MĂ€dchens, das zur Frau wird und dadurch die Welt gleichsam mit anderen Augen zu sehen beginnt; die Sprache der Geschichte ist so einfach und straff, daß eine SinnfĂ€lligkeit der Ereignisse erzeugt wird, die beinah auf der Zunge zu schmecken ist.“ Es sind auch andere SĂ€tze möglich.228 Die Rundfunkfeuilletons, die Handke in den nĂ€chsten gut eineinhalb Jahren fĂŒr die Sendung „BĂŒcherecke“ verfasst, sind als erste Versuche zu verstehen, dem von ihm diagnostizierten Automatismus der Kritik im bestĂ€ndigen Bewusst- machen der Problematik auszuweichen. Nicht nur lobt er darin Autoren, die es zuwege bringen, „jede literarisch vorgepauste Schablone zu vermeiden“, wie dies seines Erachtens bei Julien Greens Aufbruch vor Tag der Fall ist,229 sondern er problematisiert darin immer wieder auch Formen der „bewertenden Sprache“.230 Er tut dies freilich, ohne selbst vor harschen Urteilen zurĂŒckzuschrecken, etwa wenn er die umfassende „Harmlosigkeit“ des aktuellen S. Fischer-Programms 231 bemĂ€ngelt oder die Kleine Prosa des rumĂ€nischen Autors Tudor Arghezi als „laxe Satiren“ bezeichnet, „in denen eine BanalitĂ€t die andere jagt“;232 die dem Format inhĂ€rente KĂŒrze drĂ€ngt auch den Rezensenten Handke zu pointierten, weniger auf Differenzierung denn auf Effekt bedachten Formulierungen. Selbst in kurzen Skizzen, die ein Buch lediglich in AnsĂ€tzen vorstellen, kommt Handke dabei auf das Problem der kritischen Beschreibungssprache zurĂŒck, wie an einem signifikanten Beispiel verdeutlicht werden soll: Bohumil Hrabal ist dagegen harmloser [als Vĕra LinhartovĂĄs Geschichten ohne Zusam- menhang], obwohl in seinen Tanzstunden im Vordergrund viel Böseres geschieht. Geschichte gibt es eigentlich keine: die Tanzstunden fĂŒr Erwachsene und Fortge- schrittene bestehen vielmehr aus aneinandergereihten assoziativen Anekdoten eines alten Mannes, der ĂŒber irgendeine junge Person seinen Redefluß ausgießt. Das 228 Handke: „BĂŒcherecke“ vom 21. 12. 1964 (Anm.  221), S.  190. Zur Bedeutung der Pavese-Rezension in Handkes Auseinandersetzung mit der Literaturkritik vgl. jetzt Wolfgang Hackl: Zwischen Theaterereignis und Theaterbluff. Handkes Publikumsbeschimpfung und sein Anfang als Dra- matiker. In: „Das Wort sei gewagt“. Ein Symposium zum Werk von Peter Handke. Hg. v. Attila Bombitz u. Katharina Pektor. Wien: Praesens 2019, S.  148 – 162, hier S.  157 f. 229 Peter Handke: „BĂŒcherecke“ vom 18. 1. 1965. In: P. H.: Tage und Werke (Anm.  21), S.  198 – 203, hier S.  200. 230 Peter Handke: „BĂŒcherecke“ vom 29. 3. 1965. In: ebd., S.  204 – 210, hier S.  204. 231 Handke: „BĂŒcherecke“ vom 5. 7. 1965 (Anm.  72), S.  230. 232 Peter Handke: „BĂŒcherecke“ vom 4. 4. 1966. In: P. H.: Tage und Werke (Anm.  21), S.  274 – 280, hier S.  279. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 123 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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