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Seine EinwÀnde gegen die Methoden und Verfahren der Literaturwissenschaft
haben Teil an jener âanhaltenden atmosphĂ€rischen Störungâ zwischen Autoren
und Philologen, die Hermann Schlösser in einem pointierten Beitrag festgestellt
und an zahlreichen Beispielen vorgefĂŒhrt hat.279
Im GesprÀch mit Herbert Gamper hat Handke Mitte der 1980er Jahre selbst-
bewusst der Hoffnung Ausdruck verliehen, âdie Germanisten, oder die Erforscher
der Texteâ, könnten gerade an seinen Texten âein neues Herangehen lernenâ, âihr
Fach und ihre Methoden neu ĂŒberdenkenâ, zumal es sich um einen âdoch ins
Stocken geratenen Berufsstandâ handle.280 Der âZweitspracheâ der Literatur-
wissenschaftler, die mit der âErstsprache umspringtâ, wie er im Februar 1982 an
Hermann Lenz schreibt,281 ist Handke ĂŒber all die Jahre mit Argwohn begegnet.
Dieser Argwohn gegenĂŒber der âSyntax des Wissensgetuesâ 282 geht mit einer
groĂen Sympathie fĂŒr das âAhnenâ als Gegenentwurf zum selbstsicheren Wissen
einher: âMit dem, was ich weiĂâ, heiĂt es in Die Geschichte des Bleistifts (1982),
âkann ich so selten enthusiastisch sein; wohl aber mit dem, was ich ahne; des-
wegen will ich nicht zu viel wissenâ.283 Der âTon des Wissensâ erscheint ihm,
wie er in Am Felsfenster morgens (1998) notiert, als âeine scheuĂliche Leierâ, die
sich vom âTonfall[Â ] des Suchens und Ahnens in der Poesie und im poetischen
ErzĂ€hlenâ radikal unterscheidet.284 Diese Differenzierung zwischen âWissenâ und
âAhnenâ, die Handkes gesamte WissenschaftskritikÂ
â nicht nur jene der Literatur-
wissenschaftÂ
â prĂ€gt, ist fĂŒr seine poetologischen Reflexionen von entscheidender
Bedeutung.285 Sie spielt, um zur Literaturkritik zurĂŒckzukehren, auch in Notate
wie das folgende hinein, das der Autor im Dezember 1987 auf einer Reise durch
Griechenland festgehalten hat: âSo vieles Schreiben ĂŒber BĂŒcher (âKritikâ): Nach
den alten Ahnungslosen, die das Beiwort âaltâ nicht verdienen, kommen die
jungen Ahnungslosen, fĂŒr die entsprechend das gleiche giltâ.286 âAhnungslosâ zu
sein meint hier weniger, dass es jemandem an Wissen mangelt, sondern verweist
zuallererst auf das Fehlen eines Sensoriums fĂŒr poetische Texte.
279 Hermann Schlösser: âMilchegel an den Zitzen der Kunstâ. Autoren als Gegner der Literatur-
wissenschaft. In: Konflikte â Skandale â Dichterfehden in der österreichischen Literatur. Hg.
v. Wendelin Schmidt-Dengler. Berlin: Erich Schmidt 1995, S. 280 â 290, hier S. 280; Schlösser
versammelt darin Attacken auf die Germanistik von Autoren wie Wolfgang Bauer, Elias Canetti,
Kasimir Edschmid und Helmut Eisendle.
280 Handke: Aber ich lebe nur von den ZwischenrÀumen (Anm. 64), S. 239 f.
281 Handke an Lenz, 23. 2. 1982. In: Handke/Lenz: Berichterstatter des Tages (Anm. 17), S. 169.
282 Handke: Am Felsfenster morgens (Anm. 15), S. 412.
283 Handke: Die Geschichte des Bleistifts (Anm. 43), S. 34.
284 Handke: Am Felsfenster morgens (Anm. 15), S. 412 f.
285 Ulrich von BĂŒlow: Spinoza-LektĂŒren. In: Das stehende Jetzt (Anm.Â
67), S.Â
125 â 147, hier S.Â
133, spricht
in diesem Zusammenhang von Handkes âweitreichende[r] Skepsis gegenĂŒber der Wissenschaftâ.
286 Handke: Gestern unterwegs (Anm. 16), S. 47.
Unfreundliche Betrachtungen: EinwÀnde gegen die
Literaturkritik132
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471