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VerhĂ€ltnis[Â
] von Literatur und (journalistischer) Literaturkritikâ ĂŒberhaupt gel-
ten.4 Sie geht jedoch, das lĂ€sst sich schon eingangs sagen, weit ĂŒber das ĂŒbliche
MaĂ der eingespielten Gegnerschaft zwischen beiden Fraktionen hinaus â es
lohnt sich, ihr im Detail nachzuspĂŒren, nicht zuletzt deshalb, weil in ihr ein
zentraler Aspekt von Handkes streitbarer Werkpolitik besonders prÀgnant zum
Ausdruck kommt.
Die Konfliktgeschichte reicht, wie erwĂ€hnt, zurĂŒck bis in die Phase von
Handkes Etablierung im literarischen Feld, und der ikonische Chronotopos
âPrinceton 1966â spielt dafĂŒr eine entscheidende Rolle. Im FrĂŒhjahr 1966 agi-
tierte Handke im Rahmen der Tagung der Gruppe 47Â
â schon fast am Ende des
LesungsprogrammsÂ
â öffentlichkeitswirksam gegen die proliferierende âBeschrei-
bungsimpotenzâ von Literatur und Literaturkritik. Der 23-jĂ€hrige Schriftsteller
war von Hans Werner Richter als vielversprechender Suhrkamp-DebĂŒtant und
als Vertreter einer neuen Autorengeneration zu diesem ersten Treffen der Gruppe
auf amerikanischem Boden eingeladen worden; Siegfried Unseld hatte sich
mit Nachdruck fĂŒr ihn eingesetzt. Noch vor seiner Philippika im Anschluss an
Hermann Peter Piwitts Lesung stelle Handke, dessen erstes Buch Die Hornissen
kurz zuvor erschienen war, einen Abschnitt aus seinem aktuellen Romanprojekt
Der Hausierer der kritischen Gruppenöffentlichkeit vor â und stieĂ mit seiner
spröden formalistischen Variation des Kriminalromangenres 5 besonders bei
Reich-Ranicki auf wenig Gegenliebe: In seinem typischen, mit den Jahren zum
Markenzeichen geronnenen Sprachgestus konstatiert Reich-Ranicki gleich zu
Beginn seiner Wortmeldung, Handkes Text habe ihn âgelangweiltâ, âohne dass es
4 Karl Wagner: Handkes Endspiel. Literatur gegen Journalismus. In: Mediale Erregungen? Auto-
nomie und Aufmerksamkeit im Literatur- und Kulturbetrieb der Gegenwart. Hg. v. Markus
Joch, York-Gothart Mix u. Norbert Christian Wolf. TĂŒbingen: Niemeyer 2009, S. 65 â 76, hier
S. 70. Vgl. dazu die ErgÀnzung von Norbert Christian Wolf: Autonomie und/oder Aufmerk-
samkeit? Am Beispiel der medialen Erregungen um Peter Handke, mit einem Seitenblick auf
Marcel Reich-Ranicki. In: ebd., S. 45 â 63, hier S. 58: âDie individuelle Idiosynkrasie zwischen
einem Autor und seinem Kritiker lÀsst sich aber nicht allein auf diese allgemeine Opposi-
tion reduzieren [âŠ]; sie wird im Gegenteil immer auch durch spezifische Mikrokonstellatio-
nen begĂŒnstigt oder unwahrscheinlich gemacht, durch den spezifischen Literaturbegriff und
den intellektuellen Habitus der beteiligten Personen, wie das ganz anders geartete VerhÀltnis
zwischen Peter Handke und Sigrid Löffler veranschaulicht.â
5 Vgl. zum literarischen Verfahren des Hausierers Linda C. DeMeritt: Handkes Antigeschichten.
Der Kriminalroman als Subtext in Der Hausierer und Die Angst des Tormanns beim Elfmeter.
In: Experimente mit dem Kriminalroman. Ein ErzÀhlmodell in der deutschsprachigen Litera-
tur des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Wolfgang DĂŒsing. Frankfurt a. M. u. a.: Lang 1993, S. 185 â 203.
Karl Wagner: Handke und die Gruppe 47. In: Zwischen Aufbegehren und Anpassung. Poetische
Figurationen von Generationen und Generationserfahrung in der österreichischen Literatur.
Hg. v. Joanna Drynda. Frankfurt a. M. u. a.: Lang 2012, S. 121 â 132, hier S. 126, hat den Roman
als âstrukturalistische[Â ] Hardcore-Ăbungâ bezeichnet.
âMein Feind in Deutschlandâ: Peter Handke vs. Marcel
Reich-Ranicki142
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471