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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Page - 153 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

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Ein Beispiel dafĂŒr findet sich auch in Reich-Ranickis Statement nach Handkes Princetoner Lesung aus dem Manuskript des Hausierers: Den Hinweis eines Vorredners auf die Bedeutung des Grazer ‚Forum Stadtpark‘ fĂŒr die literarische Sozialisation Handkes konterte der Kritiker sĂŒffisant mit dem GestĂ€ndnis, er sei „kein Kenner des Grazer Inventionismus“, um angestachelt durch GelĂ€chter aus dem Publikum hinzuzufĂŒgen: „Ich gebe zu, dass mir die Theorie dieses Grazer Inventionismus nur sehr oberflĂ€chlich bekannt ist.“ 45 Noch vier Jahrzehnte spĂ€ter sollte Handke in einer Laudatio auf JĂŒrgen Becker diese rhetorische Operation, ohne den Namen Reich-Ranickis zu nennen, als Untugend der Literaturkritik verzeichnen: „Ein letztes Mal jetzt noch ‚der Kritiker‘: Zu dessen Rolle gehört es, oder hat es gehört, sein Sichmokieren, Ablehnen, Nichtverstehen einzuleiten mit einem ‚Ich gestehe‘.“ 46 Reich-Ranickis gerne fĂŒr sich in Anspruch genom- mene Sentenz, die er in Die Literatur der kleinen Schritte seinem Aufsatz ĂŒber Friedrich Sieburgs „exemplarisches Scheitern als Literaturkritiker“ vorange- stellt hatte  – „Ein Literaturkritiker, der etwas taugt, ist immer eine umstrittene Figur“ 47  –, quittiert Handke am Ende seines Essays mit der spielerischen Freude des Polemikers: „Von mir aus ist Reich-Ranicki unumstritten.“ 48 Bemerkenswert ist freilich, dass Reich-Ranicki Handkes Essay kurze Zeit spĂ€ter, 1970, als einzigen ‚Fremdtext‘ in seine programmatisch zu verstehende Sammlung Lauter Verrisse aufnahm.49 Es dĂŒrfte, so Reich-Ranickis Biograph Uwe Wittstock, in der Geschichte der Literatur tatsĂ€chlich „nur selten den Fall gegeben haben, dass ein Autor eine derartige fundamentale Polemik gegen die 45 Audioaufzeichnung Princeton 1966 (Anm.  1), Lesung Handke, Wortmeldung Reich-Ranicki, 37:20 – 37:35. Dazu auch Reich-Ranickis nachtrĂ€gliche Skepsis im Hinblick auf die Wirkung der österreichischen Avantgarde-Strömungen nach 1945: „Gerhard RĂŒhm und Oswald Wiener und die Grazer Gruppe. Ich weiß schon, das sind dringend nötige, wichtige Erscheinungen der Gegenwartsliteratur. Aber so sehr viel ist daraus nicht geworden, glaube ich.“ (Marcel Reich- Ranicki: Der doppelte Boden. Ein GesprĂ€ch mit Peter von Matt. ZĂŒrich: Ammann 1992, S.  142) 46 Peter Handke: Gurken und Kiefern, Äpfel und Schnee. Zu JĂŒrgen Becker. In: Sinn und Form 58 (2006), H.  6, S.  800 – 807, hier S.  803; wieder abgedruckt in: P. H.: Meine Ortstafeln. Meine Zeittafeln. 1967 – 2007. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2007, S.  272 – 279, hier S.  275. Vgl. dazu auch Michaelsen/Handke: „Ab und zu sticht mich ein Teufelchen“ (Anm.  30), S.  128: „Aber er ist so stolz auf seine BeschrĂ€nktheit. Das ist der Skandal.“ 47 Marcel Reich-Ranicki: Friedrich Sieburg: Verloren ist kein Wort und Nicht ohne Liebe. In: M. R.-R.: Literatur der kleinen Schritte. Deutsche Schriftsteller heute. MĂŒnchen: Piper 1967, S.  247 – 256, hier S.  255 u.  247. 48 Handke: Marcel Reich-Ranicki und die NatĂŒrlichkeit (Anm.  2), S.  207. Zum Problem der ‚unum- strittenen‘ Instanz Reich-Ranicki vgl. Schuh: All you need is love (Anm.  27), S.  62 f. u.  70 f. 49 Vgl. Peter Handke: Marcel Reich-Ranicki und die NatĂŒrlichkeit. In: Marcel Reich-Ranicki: Lauter Verrisse. Mit einem einleitenden Essay. MĂŒnchen: Piper 1970, S.  167 – 171; in der „[e]rweiterte[n] Neuausgabe“ von Lauter Verrisse aus dem Jahr 1984 fehlt Handkes Polemik; stattdessen findet sich darin nun die vernichtende Besprechung von Handkes ErzĂ€hlung Die linkshĂ€ndige Frau (1976). Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 153 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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