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in die kontemplative Schilderung einer Wanderung, zeichnet Handke in der Fik-
tion der Lehre der Sainte-Victoire Reich-Ranicki in der Figur einer blutrĂŒnstigen
Dogge als papierverschlingendes Untier, âdie Gier und zugleich die Unlust in
Personâ.168 Schon in Das Gewicht der Welt (1977) hatte Handke die Begegnung
mit einem Exemplar dieser Hunderasse geschildert, bei der er ânach dem Notiz-
buch wie nach einer Waffeâ getastet habe;169 in Langsame Heimkehr tauchen die
Tiere mehrmals nicht als loyale und zutrauliche Begleiter des Menschen, son-
dern als âSymbol[e] des Unheilsâ auf.170 Nun, in der Lehre der Sainte-Victoire,
rĂŒckt Handke dem Hund tatsĂ€chlich schreibend zu Leibe. Hermann Lenz jeden-
falls gratulierte umgehend und wohl im Wissen um den Subtext der geschil-
derten Hunde-Episode: âDen Höllenhund [âŠ], den macht Dir neben vielem
anderen [âŠ] niemand nach.â 171
In der sĂŒdlichen Provence auf den Spuren von Paul CĂ©zanne unterwegs, trifft
der autornahe ErzĂ€hler, der schon seit Kindertagen einen âunĂŒberwindlichen
Widerwillen gegen die meisten Hundeâ hegt, auf eine schwarze Dogge: In dem
groĂen Hund, der hinter einem Zaun auf dem GelĂ€nde einer Kaserne lauert und
schon eingangs als âBestieâ apostrophiert wird, erkennt er augenblicklich nicht
bloĂ einen unberechenbaren Angreifer, sondern seinen âFeindâ.172 Sogleich gesel-
len sich weitere Hunde zu ihrem vermeintlichen âLeithundâ; bellen die anderen
Tiere des Rudels jedoch âeher temperamentlos und rhetorischâ, fĂŒhlt sich der
ErzĂ€hler von deren AnfĂŒhrer ausdrĂŒcklich âgehaĂtâ:
Sein Körper wirkte bunt, wĂ€hrend Kopf und Gesicht tiefschwarz waren. âSieh dir
das Böse anâ, dachte ich. Der SchĂ€del des Hundes war breit und erschien trotz der
hĂ€ngenden Lefzen verkĂŒrzt; die Dreiecksohren gezĂŒckt wie kleine Dolche. Ich suchte
AndrĂ© MĂŒller: Das Schreien. Ăber Marcel Reich-Ranicki. [2002] In: A. M.: âSie sind ja wirklich
eine verdammte KrĂ€he!â Letzte GesprĂ€che und Begegnungen. Mit einem Vorwort v. Elfriede
Jelinek. MĂŒnchen: LangenMĂŒller 2011, S. 160 â 168, hier S. 166 â 168.
168 Handke: Die Lehre der Sainte-Victoire (Anm. 10), S. 59. Als Interpretation der Episode vgl.
jetzt die lesenswerte Darstellung von Honold: Der Erd-ErzĂ€hler (Anm. 129), S. 197 â 201.
169 Handke: Das Gewicht der Welt (Anm. 99), S. 316. Dazu noch die Bemerkung in Ulrich von
BĂŒlow: âWait and see!â Peter Handke im GesprĂ€ch. In: Das stehende Jetzt. Die NotizbĂŒcher
von Peter Handke. GesprÀch mit dem Autor und Essays von U. v. B. Marbach a. N.: Deutsche
Schillergesellschaft 2018, S. 5 â 63, hier S. 9: âDamals habe ich kleine NotizbĂŒcher gezogen wie
eine Art von Waffe. Wie im Western James Stewart, oder wer auch immer, plötzlich einen
Revolver zieht.â
170 Alexander Huber: Versuch einer Ankunft. Peter Handkes Ăsthetik der Differenz. WĂŒrzburg:
Königshausen & Neumann 2005, S. 234. Vgl. ebd.: âĂberall im Text trifft man auf Hunde, sei
es vereinzelt, sei es als Meute. Sie sind Symbole des drohenden Nichts, selbst im Detail.â
171 Lenz an Handke, 17. 8. 1980. In: Handke/Lenz: Berichterstatter des Tages (Anm. 103), S. 147.
172 Handke: Die Lehre der Sainte-Victoire (Anm. 10), S. 54 u. 56.
Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 179
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471