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standen, als hinterhÀltigen Verrat des Verlegers.238 Im Februar 1981 eskalierte
der Konflikt schlieĂlich in einem wĂŒtenden Brief Handkes, dessen âgnadenlose
Generalabrechnungâ 239 noch deutlicher als ein Jahr zuvor die AnkĂŒndigung
enthielt, den Verlag zu verlassen â eine Drohung, die der Autor freilich nie
wahr machen sollte:
Lieber Siegfried (immer noch),
die Zeit der LĂŒgen muĂ ein Ende haben. Schon an jenem Tag vor zwei Jahren, als ich
am FrĂŒhstĂŒckstisch in Frankfurt in dem Sammelwerk des ĂŒbelsten Monstrums, das
die deutsche Literaturbetriebsgeschichte je durchkrochen hat, die Widmung an Dich,
meinen Verleger, gelesen habe (als Vorsatzblatt zu den nackt mordlustigen Artikeln
ĂŒber âWunschloses UnglĂŒckâ und âDie linkshĂ€ndige Frauâ): âIn alter Verbundenheitâ,
da hĂ€tte ich die Pflicht vor mir und dem, was mir noch vorschwebt, gehabt, fĂŒr immer
meine Arbeiten aus Deiner sogenannten Obhut zu nehmen.Â
[âŠ] Unsere Wege trennen
sich hiermit, unwiderruflich.240
Im Abstand von mehr als drei Jahrzehnten, im Oktober 2012, hat Handke sich in
einem Interview mit der SĂŒddeutschen Zeitung noch einmal zu diesem Konflikt
und seinen HintergrĂŒnden geĂ€uĂert:
Das war ein völlig sinnloser Amoklauf, aber er hat mich, so blöd dialektisch das klingt,
auch befreit. Was Reich-Ranicki zu Langsame Heimkehr geschrieben hat, war nack-
ter Vernichtungswille. Er wollte mich weghaben. Und am nÀchsten Tag hat Siegfried
Unseld ihn empfangen, ihn bewirtet. Ich fĂŒhlte mich verraten und musste einen Aus-
lauf suchen aus mir. Da habe ich eben losgelegt. Ich bedaure das nicht.241
Reich-Ranicki wiederum hat diese Szene am Schreibtisch des Verlegers, deren
Nachwehen 1981 beinahe zum Bruch zwischen Handke und dem Suhrkamp Verlag
238 Ein Detail am Rande: Als Reich-Ranicki 1984 in der FAZ eine WĂŒrdigung zu Unselds 60. Geburts-
tag druckte, sparte er Handke in seiner Liste bedeutender Suhrkamp-AutorInnen demonstrativ
aus: âZiffern allein besagen im Verlagsgewerbe doch nicht viel, es gehören die Namen dazu.
Hier sind sie: Brecht, Hesse und die Marieluise FleiĂer, die Kaschnitz, Nossack, Koeppen und
Frisch, Eich, Huchel, Celan und Krolow, Peter Weiss und Hildesheimer, Uwe Johnson, Martin
Walser, Enzensberger und Thomas Bernhard.â (Marcel Reich-Ranicki: Siegfried Unseld oder
Die Wollust am Buch. [1984] In: M. R.-R.: Lauter Lobreden. Stuttgart: DVA 1985, S. 116 â 121,
hier S. 117 f.)
239 Herwig: Meister der DÀmmerung (Anm. 196), S. 291.
240 Handke an Unseld, 25. 2. 1981. In: Handke/Unseld: Der Briefwechsel (Anm. 60), S. 431 f.
241 Malte Herwig/Sven Michaelsen: âIch wĂ€re liebend gern ein Böserâ. [GesprĂ€ch mit Peter Handke.]
In: SĂŒddeutsche Zeitung Magazin, Nr. 42, 19. 10. 2012, S. 52 â 57, hier S. 53.
âMein Feind in Deutschlandâ: Peter Handke vs. Marcel
Reich-Ranicki192
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471