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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Page - 217 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

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Mathias Schreiber haben Reich-Ranicki eine veritable DĂŒnnhĂ€utigkeit und SensibilitĂ€t fĂŒr die Urteile anderer ĂŒber seine Person attestiert: „Kaum etwas registriert er so genau wie das, was ĂŒber ihn gedacht, geschrieben, gesprochen wird.  [
] Er ist empfindlich und hat fĂŒr KrĂ€nkungen ein gutes GedĂ€chtnis. Wie so mancher, der gut austeilen kann, zĂ€hlt er zu den Empfindsamen und LiebesbedĂŒrftigen.“ 359 Ähnliches trifft auch auf den Autor Peter Handke zu.360 WĂ€hrend die beiden im Laufe der Jahre ihre argumentativen Waffen schĂ€rften und weder vor Reprisen bereits hinlĂ€nglich artikulierter VorwĂŒrfe noch vor pointierten Untergriffen und Seitenhieben zurĂŒckschreckten, offenbarten sie unwillkĂŒrlich auch die eigene Verletzlichkeit  – und, mit Hage und Schreiber gesprochen, ein gutes GedĂ€chtnis, was frĂŒhere Attacken und KrĂ€nkungen betrifft: „Nicht zu ĂŒbersehen sind in der Beziehung zwischen Kritiker und Autor schließlich jene Emotionen, die zu typischen Merkmalen narzisstischer Syndrome gehören: Unter- oder ÜberlegenheitsgefĂŒhle, schwere KrĂ€nkungen mit den damit verbundenen Aggressionen.“ 361 Die wechselseitige Kritik entzĂŒndete sich wiederholt an der PopularitĂ€t des GegenĂŒbers; beide, Handke wie Reich-Ranicki, waren der Überzeugung, der Ruhm und die Prominenz des anderen beruhe auf einem MissverstĂ€ndnis, sei nicht der QualitĂ€t ihrer literarischen bzw. literaturkritischen Arbeiten geschuldet, sondern einer  – von weiten Teilen des Literaturbetriebs nicht durchschauten  – Inszenierung, einer geschickten Selbstvermarktung. WĂ€hrend Handke Reich- Ranicki zum Vorwurf machte, er bediene mit dem Habitus des ‚Verreißers‘ und ‚Buch-Vornehmers‘ vor allem die Erwartungen eines schaulustigen Publikums,362 konstatierte der Kritiker ein ums andere Mal, Handkes Erfolg sei zunĂ€chst durch 359 Hage/Schreiber: Marcel Reich-Ranicki (Anm.  57), S.  132. Vgl. dazu auch den auf Reich- Ranicki gemĂŒnzten Kommentar von Baumgart: Damals (Anm.  9), S.  197: „denn Kritik kann dieser große Kritiker noch weniger ertragen als seine Opfer“. 360 Durzak: Peter Handke und die deutsche Gegenwartsliteratur (Anm.  156), S.  171, hat Handke vorgeworfen, die Rezensionen „einzelne[r] Literaturkritiker, die ihn hier und da unfreund- lich in ihren BlĂ€ttern behandelt hatten“, stets als „Attacken auf ihn als Person“ interpretiert zu haben, „auch wenn das in der RealitĂ€t nie so intendiert gewesen war“. Vgl. ebd., S.  13: „Ein Verriß ist  [
] fĂŒr ihn immer gleich auch ein persönlicher Angriff, ein Lobpreis ist fĂŒr ihn nicht irgendein abstraktes Lob ĂŒber eine literarische Arbeit, sondern zugleich eine moralische Kommunikationsgeste.“ 361 Anz: Werten und FĂŒhlen (Anm.  7), S.  23. 362 Reich-Ranicki kann wohl als Paradebeispiel jenes Kritikers gelten, den Pierre Bourdieu fol- gendermaßen beschrieben hat: „Selbst den fĂŒr ihre KonformitĂ€t mit den Erwartungen ihres Publikums berĂŒchtigten Kritikern ist durchaus zu glauben, wenn sie versichern, sich nie die Ansichten ihrer Leser zu eigen zu machen; und es darf auch davon ausgegangen werden, daß die Ursache fĂŒr die EffektivitĂ€t ihrer Kritiken keineswegs in einer demagogischen Anpassung an den Geschmack des Publikums besteht, sondern in einer objektiven Übereinkunft; sie ermĂ€ch- tigt zu vollkommener Aufrichtigkeit, die notwendig  – und damit wirksam  – ist, damit einem Unversöhnt: letzte Gefechte 217 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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