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âDingeâ aus, âum die Wahrnehmung zu erschweren und ihre Dauer zu ver-
lĂ€ngernâ,28 findet sich in den sprachexperimentellen Arbeiten der frĂŒhen Jahre
nachgerade mustergĂŒltig realisiert. Die Kritik des Wellershoff-Sammelban-
des im auflagenstarken Spiegel verfolgt durch die enge Verklammerung mit
Handkes poetologischen Essays 29 zudem eine zentrale werkpolitische Agenda
des Autors. Die Argumentation der Kritik, die aus vorderhand unscheinba-
ren Detailbeobachtungen die sprachliche NachlÀssigkeit der einzelnen Bei-
trĂ€ger â u. a. Peter Opitz und Martin Kurbjuhn â deduziert, entspricht der
methodischen Strenge seiner frĂŒhen theoretisch-poetologischen EntwĂŒrfe,
aber auch der literarischen Arbeiten, etwa jener der hermetisch anmutenden
SprechstĂŒcke (Weissagung, Selbstbezichtigung etc.) oder einzelner Texte des
âLyrikâ-Bandes Die Innenwelt der AuĂenwelt der Innenwelt (1969). Hat man in
zahlreichen Darstellungen von Handkes Werkentwicklung in den Jahren um
1970 eine erste âWendeâ ausgemacht, die eine partielle Revision frĂŒherer theo-
retischer Positionen mit sich brachte, so ist eine Ă€hnliche Bewegung auch fĂŒr
Handkes TĂ€tigkeit als Literaturkritiker nachzuvollziehen: In zeitlicher NĂ€he
zur allmÀhlichen Wiedergewinnung traditioneller erzÀhlerischer Verfahren,
fĂŒr die Die Angst des Tormanns beim Elfmeter und Der kurze Brief zum langen
Abschied Anfang der 1970er Jahre wichtige Etappen darstellten,30 hat der Autor,
wie im Folgenden gezeigt werden soll, auch die Verfahren seines literaturkriti-
schen Schreibens neu ausgerichtet.
Handke war in den ersten Jahren seiner Karriere neben BeitrÀgen im Spie-
gel und in der ZEIT, fĂŒr die er u. a. Berichte ĂŒber das Berliner Theatertreffen,
die âexperimenta 3â und die Berliner Filmfestspiele verfasste, auch fĂŒr weitere
deutsche Printmedien tÀtig. Er publizierte nicht nur Rezensionen und Essays
in der cineastischen Zeitschrift filmÂ
â 1967 konstatierte Handke, âdaĂ die Film-
kritik hierzulande schon viel weiter fortgeschritten ist als die literarische Kri-
tikâ,31 was dieses Feld fĂŒr ihn ĂŒberaus attraktiv machte â, sondern er besprach,
abseits der prominenten BlÀtter, etwa den Sammelband Rauschgiftesser erzÀhlen
28 Ć klovskij: Kunst als Kunstgriff (Anm. 23), S. 14.
29 Aber auch, weil sie eine pointierte Positionierung in den Debatten um einen âNeuen Realis-
musâ vorstellt; vgl. dazu ausfĂŒhrlich Anna Estermann: Vom âbloĂ sprachlichenâ zu einem âall-
umfassenden Realismusâ. Handkes ârealistic turnâ um 1970. In: Schreiben als Weltentdeckung.
Neue Perspektiven der Handke-Forschung. Hg. v. A. E. u. Hans Höller. Wien: Passagen 2014,
S. 97 â 134.
30 Vgl. dazu Hans Höller: âBruchâ und âWendeâ. Zu einer Schreibbiografie Peter Handkes. In:
Wende â Bruch â Kontinuum. Die moderne österreichische Literatur und ihre Paradigmen
des Wandels. Wien: Praesens 2006, S. 195 â 209, bes. S. 201 â 203; Herwig Gottwald/Andreas
Freinschlag: Peter Handke. Wien u. a.: Böhlau 2009, S. 25 f.
31 Handke: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms (Anm.Â
9), S.Â
26. Dazu Gottwald/Freinschlag:
Peter Handke (Anm. 30), S. 83.
Peter Handkes Gegenmodelle zur zeitgenössischen
Literaturkritik226
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471