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Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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als gefahrvolle, sich der Planung entziehende „Ein-Mann-Expedition“,69 als „eine Expedition  [
], wie man sie sich abenteuerlicher nicht wĂŒnschen kann“,70 cha- rakterisiert hat, versteht Handke auch das Lesen und die Dokumentation die- ser LektĂŒre als TĂ€tigkeit, die die eigenen Sicherheiten infrage stellt, um nicht in unproduktive Routinen zu verfallen  – gerade Letzteres ist ein wiederkehrender Vorwurf des ‚Gelegenheitskritikers‘ Handke an die professionellen Rezensenten in den Redaktionen der Tages- und Wochenzeitungen. Sein Interesse richtet sich, so Manfred Mixner, auf einen „Erkenntniswert“, „der durch die Dimension der Erfahrbarkeit jeder ĂŒber ein begriffliches Regelsystem gewonnenen Erkennt- nis  [
] ĂŒberlegen ist“.71 Dabei will auch der Rezensent Handke nicht von der Vorstellung abrĂŒcken, ein Buch so zu lesen, „als könnte es mir“, wie er im 1977 erschienenen Journalband Das Gewicht der Welt ĂŒber Wolf Solent von John Cowper Powys notiert, „fĂŒrs weitere Leben etwas bringen“.72 Diesen emphatischen, ausdrĂŒcklich nicht-ana- lytischen Begriff von literarischer LektĂŒre hat der Autor in immer neuen AnlĂ€u- fen festgehalten, skizziert, in kleinen Miniaturen erzĂ€hlerisch entworfen  – nicht zuletzt als Gegenpol zu den ‚Bestenlisten‘ und wertenden Gesten der Literatur- kritik: „Die besten sind jene BĂŒcher“, schreibt er in Die Geschichte des Bleistifts (1982), „die einen immer wieder dazu bringen, innezuhalten, aufzuschauen, in die Gegend zu schauen, tief einzuatmen, sich von der Sonne bescheinen zu las- sen  – auch wenn diese gar nicht scheint“.73 In vielen FĂ€llen steht dabei, wie Roland Borgards treffend formuliert, die Frage im Zentrum, wie es möglich ist, „aus der Erfahrung mit dem Text zu einer neuen Wahrnehmung der Welt [zu] gelangen“.74 69 Peter Handke: Drei Zitterer an der homerischen Quelle. [2015] In: P. H.: Tage und Werke (Anm.  3), S.  165 – 186, hier S.  185. 70 Peter Handke: Prosa als Hintergrund(aus)leuchten. [2004] In: P. H.: Meine Ortstafeln. Meine Zeittafeln. 1967 – 2007. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2007, S.  334 – 340, hier S.  336; so auch in Peter Handke: Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987  – Juli 1990. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2005, S.  86: „Das Schreiben hat ein Abenteuer zu sein, oder es ist nicht  – und es ist mir doch noch fast jedesmal gelungen, mich in solch ein Abenteuer zu verwickeln? verwickeln zu lassen?“  – Eine Ă€hnliche Konzeption des Schreibens findet sich, um nur ein Beispiel zu nen- nen, auch bei Max Frisch: „Schreiben ist ein abenteuerliches Unternehmen, man setzt sich sei- ner Erfahrung aus“  – „Ich will also, wenn ich ein StĂŒck schreibe und es zur AuffĂŒhrung gebe, etwas auskundschaften“ (Max Frisch/Dieter E. Zimmer: Noch einmal anfangen können. [1967] In: M. F.: „Wie Sie mir auf den Leib rĂŒcken!“ Interviews und GesprĂ€che. AusgewĂ€hlt u. hg. v. Thomas StrĂ€ssle. Berlin: Suhrkamp 2017, S.  67 – 78, hier S.  69 u.  72). 71 Mixner: Peter Handke (Anm.  10), S.  162. 72 Peter Handke: Das Gewicht der Welt. Ein Journal (November 1975  – MĂ€rz 1977). Salzburg: Residenz 1977, S.  62. 73 Peter Handke: Die Geschichte des Bleistifts. Salzburg, Wien: Residenz 1982, S.  65. 74 Roland Borgards: Sprache als Bild. Handkes Poetologie und das 18.  Jahrhundert. MĂŒnchen: Fink 2003, S.  32. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 235 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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