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âspiele[n]â, so Handke 2006 in seiner Laudatio auf JĂŒrgen Becker.83 Es sei nicht
â[s]eine Sacheâ, âdie Poetik, die poetische Methodeâ eines Autors âzu umrei-
Ăen, gar zu definierenâ, wie er 2014 in einem Essay ĂŒber Carlfriedrich Claus
und Franz Mon eingesteht: âIm Ăbrigen könnte ich es auch nicht, habe zwar
momentan, unversehens, ruckhaft einen Blick dafĂŒr, mehr noch ein GehörÂ
[âŠ].
Doch es fehlen mir die Worte und mehr noch die Begriffe.â 84 Gerade daranÂ
â an
der Unsicher heit der Sprache, der UnverfĂŒgbarkeit der entsprechenden Termi-
nologie â hat Handke seine Schwierigkeiten, im Schreiben ĂŒber Literatur die
Anforderung einer konventionellen Vorstellung von Literaturkritik zu erfĂŒllen,
wiederholt festgemacht, etwa in einem ausfĂŒhrlichen GesprĂ€ch mit Manfred
Durzak anlĂ€sslich der Verleihung des Georg-BĂŒchner-Preises im Jahr 1973:
Das ist vielleicht schon interessant fĂŒr eine gewisse Zeit, einen Rezeptionsvorgang zu
beschreiben und eine Scheinanalyse vorzunehmen mit einem bestimmten Begriffs-
material. Aber das wĂŒrde mich ĂŒberhaupt nicht bei einem Schriftsteller interessie-
ren. Ich wĂŒrde es auch als unwahr empfinden, jetzt faktisch nur dauernd den Staub
zu analysieren, den der Mann aufgewirbelt hat. Da besteht fĂŒr mich ein Defekt der
Leute, das ist ein sterilisierter Zustand in bezug auf Literatur. Wenn ich dann höre:
Ja, der gesellschaftliche Aspekt usw. â das ist fĂŒr mich ganz etwas anderes. Es ist viel
schwieriger, ein Buch zu beschreiben, ohne Rituale und ohne Begriffssystem, das
jedem zum Halse heraushĂ€ngt, der weiĂ, wie die zustandekommen.85
Sein literaturkritisches Verfahren hat Handke demonstrativ als Gegenentwurf zu
etablierten Konzepten entwickelt, umÂ
â wie es in der ErzĂ€hlung Nachmittag eines
Schriftstellers (1987) heiĂtÂ
â dem âKreislauf aus Einordnungen und Urteilenâ zu
entkommen, âdie doch fast nur aus dem Ausspielen des einen gegen den ande-
ren bestandenâ.86 In Opposition dazu hat Handke die Idee einer Literaturkritik
entworfen, in deren Zentrum das Erlebnis oder die Erfahrung der LektĂŒre steht:
Es handelt sich dabei, so Mixner, um ein ausdrĂŒcklich âpoetisches Verfahren
83 Peter Handke: Gurken und Kiefern, Ăpfel und Schnee. Laudatio zum Hermann-Lenz-Preis
an JĂŒrgen Becker. [2006] In: P. H.: Meine Ortstafeln. Meine Zeittafeln (Anm. 70), S. 272 â 279,
hier S. 273. Vgl. in Àhnlicher Weise auch Peter Handke: Josef W. Janker oder Die Selbstver-
schrĂ€nkung der Autor-Kreatur. Rede zum Hermann-Lenz-Preis 1999. In: P. H.: MĂŒndliches
und Schriftliches (Anm. 47), S. 139 â 154, hier S. 148.
84 Peter Handke: Eine Ideal-Konkurrenz. [2014] In: P. H.: Tage und Werke (Anm. 3), S. 132 â 152,
hier S. 134.
85 Manfred Durzak: FĂŒr mich ist Literatur auch eine Lebenshaltung. GesprĂ€ch mit Peter Handke.
[1973] In: M. D.: GesprĂ€che ĂŒber den Roman. Formbestimmungen und Analysen. Frank-
furt a. M.: Suhrkamp 1976, S. 314 â 343, hier S. 328.
86 Peter Handke: Nachmittag eines Schriftstellers. ErzÀhlung. Salzburg, Wien: Residenz 1987,
S. 36 f. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 237
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471