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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Verlauf tatsĂ€chlich, wie Handke Kolleritsch in Aussicht stellt, die „Geschichte“ der LektĂŒre eines Buches: Nach dem ersten Abschnitt, der die Ankunft des Autor-Lesers in Hannover schildert, und einem knappen Hinweis auf die Lek- tĂŒresituation in der Mitte des Textes  – „ich las, wie der FĂŒrst die eigenen Satz- modelle immerfort umkehrte, wie er, sprechend, die Auflösung aller Begriffe möglich machte“ 99  – schließt der letzte Absatz den narrativen Rahmen, wobei die Fiktion des Romans und die LektĂŒre des ErzĂ€hlers zusehends miteinander verschrĂ€nkt werden: Ich war inzwischen aus dem BahnhofscafĂ© weggegangen und hatte noch einmal angerufen. Wieder meldete sich niemand. Beim Sprechen, sagte der FĂŒrst, könne er wenigstens mißverstanden werden. Es war recht dunkel geworden. Ich ging in einen Park in der NĂ€he der Hannoverschen Oper und las dort beim Laternenschein weiter. Der FĂŒrst konnte die beiden nicht ins Haus fĂŒhren, weil alles in Unordnung war. Ich war dann aufgestanden und hatte in einer GaststĂ€tte, zur Musik eines Stehgeigers, weitergelesen. Ich hatte noch einige Male angerufen. Ich hatte etwas getrunken und weitergelesen. Der FĂŒrst war ganz gegen die Wirklichkeit konstruiert. Er erfror von innen heraus. Ich las und las und las  
100 Hans Höller hat darauf hingewiesen,101 dass der spĂ€ter vom Verlag fĂŒr die Bewer- bung des Romans verwendete letzte Satz von Handkes Rezension auf die Schluss- sequenz von Bernhards 1966 in den protokollen, ein Jahr darauf in der Sammlung Prosa veröffentlichter ErzĂ€hlung Die MĂŒtze anspielt: Und ich dachte, wĂ€hrend ich schrieb, die ganze Zeit immer nur, daß ich mir, wenn ich damit fertig bin, etwas kochen werde, etwas essen, dachte ich, endlich wieder einmal etwas Warmes essen, und ich setzte, weil mir wĂ€hrend des Schreibens so kalt gewor- den war, auf einmal die MĂŒtze auf. Alle haben sie eine solche MĂŒtze auf, dachte ich, alle, wĂ€hrend ich schrieb und schrieb und schrieb  
 (TBW 14, 34)102 99 Ebd., S.  213 (Herv. H. G.). 100 Ebd., S.  216. 101 Höller: Wie die Form der Sprache das Denken des Lesens ermöglicht (Anm.  97), S.  81 – 83. Handke hat die Formel auch in anderem Zusammenhang als Bild eines intensiven, in sich versunkenen Lesens gebraucht, und zwar in einem Brief an seinen ehemaligen Lehrer Reinhard Musar, in dem er ein Erlebnis aus der Schulzeit beschreibt; „so daß ich dort etwa Charles Dickens las, und las, und las (ein ‚wirkliches Lesen‘ ist doch etwas anderes als ein ‚wirklicher Hofrat‘, auch viel seltener, leider; natĂŒrlich auch fruchtbarer)“ (Peter Handke an Reinhard Musar, 1995. In: „Was ich schreibe, ist ja nur meine geformte Existenz“ [Anm.  62], S.  31). 102 Dass am Ende von Die MĂŒtze „der Beginn des Schreibaktes der ErzĂ€hlung selbst beschrie- ben“ wird, hat Tim Reuter: „Vaterland, Unsinn“. Thomas Bernhards (ent-)nationali- sierte GenieĂ€sthetik zwischen Österreich-Gebundenheit und Österreich-Entbundenheit. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 241 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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