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Alexander. Nur in der ersten Minute sieht er wie ein Mädchen aus; das Haar. Jürgen
Becker, nur wenig älter, begründet noch, warum er nicht daran glaubt. Aussage-Sätze.
Später kommt Martin Walser dazu: also Eloquenz, Charme, Temperament, ein Strei-
ter, dadurch altväterlich. Wie Handke während der Besprechung dasitzt: nicht provo-
kant, nur abseits, sleep in, er sässe lieber im Kino, Meinungen schläfern ihn ein
…138
Im Gegensatz zu den Ende der 1960er Jahre proliferierenden literatur- und
gesellschaftstheoretischen Positionen, für die das Kursbuch oder konkret pro-
minente Beispiele darstellten, sollte das neue Medium, wie Handke in seinem
Brief an Unseld vermerkt, einer „subjektivistische[n] Theorie“ verpflichtet sein.
Das bedeute für ihn nicht zuletzt den Verzicht auf die Gattung „übliche[r]“
Rezensionen; „vielmehr“ sollten „Literatur und Film als Reiz“ fungieren, „von
seinen eigenen Erfahrungen zu schreiben. Eine Theorie, die zugleich die Praxis
zeigt, und auch Praxis ist.“ 139 Ausdrücklich betont Handke dabei seine Forde-
rung, „[d]as Schreiben über etwas“ nicht von der „Literatur“ selbst zu unter-
scheiden: „Ebenso könnte das Berichten über Film selbst eine Art Film sein,
oder ein Fotoroman, eine Fotogeschichte, oder einfach eine gezielte Reproduk-
tion von Bildern aus dem Film, die Einstellungen deutlich machen. Dasselbe
Verfahren mit Literatur.“ 140
Die von Handke skizzierten Überlegungen haben eine Neudefinition des-
sen, was literatur- und filmkritisches Schreiben sein kann und soll, im Blick,
wobei die gesamte Anmutung und Layoutierung der geplanten Zeitschrift, für
die es bislang kein „[p]ositives Beispiel“ im Sinne eines Vorbilds gebe, dieser
Neuausrichtung entsprechen müsse: „Das wichtigste für mich wäre, daß auch
die Anordnung der Beiträge selbst Literatur oder ästhetische Methode ist, weit
über das übliche Layout hinaus. Aufmachung und Inhalt dürften nicht mehr
getrennt sein!!“ 141 Das Postulat einer Aufhebung der Grenzen zwischen den
138 Max Frisch/Uwe Johnson: Der Briefwechsel 1964 – 1983. Hg. v. Eberhard Falcke. Frankfurt
a.
M.:
Suhrkamp 1999, S.
336 f. Die Notiz wurde nicht in das Tagebuch 1966 – 1971 übernommen, son-
dern erst postum im Anhang der Briefausgabe veröffentlicht.
139 Handke an Unseld, 20. 1. 1969. In: Handke/Unseld: Der Briefwechsel (Anm. 1), S. 102 f. (Herv.
H.
G.). Interessanterweise hatte Handke eine solche „Synthese der Theorie mit der Praxis“ bereits
im Januar 1966 dem Prosaband Zoo oder Briefe nicht über die Liebe des von ihm geschätzten
Viktor Šklovskij attestiert (Peter Handke: „Bücherecke“ vom 17. 1. 1966. In: P. H.: Tage und Werke
[Anm.
3], S.
258 – 265, hier S.
264), dessen literaturästhetische Konzepte für den jungen Handke
bekanntlich überaus fruchtbar und anregend waren. Die Koinzidenz verweist ein weiteres Mal
auf die enge Verzahnung literarischer, poetologischer, kritischer und publizistischer Konzepte
und Strategien in Handkes Werkpolitik.
140 Handke an Unseld, 20. 1. 1969. In: Handke/Unseld: Der Briefwechsel (Anm. 1), S. 103.
141 Ebd., S. 104. Vgl. ebd., S. 103: „Die Aufmachung wäre keine Aufmachung, sondern gehörte
zum Inhalt der Zeitschrift, wäre selber Literatur, oder Ästhetik. Deswegen würde ein üblicher
Lay-outer [sic] nicht genügen. Die Anordnung der Arbeit ist Ästhetik.“
„Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 249
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471