Page - 288 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Zamponi 1977, ein Jahr vor der Publikation des Stimmenimitators, eines natĂŒr-
lichen Todes gestorben.
Auf die Nachricht der drohenden Klage reagierte Bernhard im Januar 1979
mit einem offenen Brief an Annelore Lucan-Stood, die Tochter Zamponis, in
den Oberösterreichischen Nachrichten, in dem er betonte, keinesfalls eine âVer-
unglimpfung Ihres Herrn Vatersâ beabsichtigt, vielmehr eine âphilosophische
Dichtung als Huldigung Ihres Herrn Vatersâ geschrieben zu haben:
Sehr geehrte Frau Annelore Lucan-Stood,
in einer der hundertvier freien Assoziationen und Denk-Erfindungen meines Buches
Der Stimmenimitator habe ich Ihrem Herrn Vater, dem von mir wÀhrend meiner
GerichtsreportertĂ€tigkeit am Salzburger Landesgericht in den fĂŒnfziger Jahren hoch-
geschÀtzten und von mir bis heute hochverehrten Staatsanwalt Dr. Zamponi, ein,
wie ich glaube, auf lÀngere Dauer standfestes, wenn auch nur dichterischer Denkmal
gesetzt. (TBW 22.1, 653)
Es könne sich nur um ein âMiĂverstĂ€ndnisâ handeln (TBW 22.1, 654), wenn
man sein literarisches PortrÀt mit einem VerÀchtlichmachen des angesehenen
Juristen gleichsetze. In Absprache mit der Familie des Verstorbenen konnte
schlieĂlich eine auĂergerichtliche Einigung erzielt werden. Diese sah vor, dass
in allen weiteren Ausgaben des Textes, auch im 2003 veröffentlichten 14. Band
der Werkausgabe, der Name âZamponiâ durch âFerrariâ (TBW 14, 248) ersetzt
wurde. â In den mitunter skurril anmutenden Fallgeschichten des Stimmen-
imitators verbindet Bernhard das fĂŒr seine Prosa insgesamt charakteristische
Verfahren des vermittelten ErzÀhlens mit der journalistischen Forderung nach
KĂŒrze und PrĂ€gnanz.57 Nicht nur ĂŒber die Nennung einzelner Zeitungen, in
denen er in der ersten HÀlfte der 1950er Jahre gelegentlich BeitrÀge veröffent-
licht hatte (z. B. im Linzer und Salzburger Volksblatt; TBW 14, 90 f. u. 245),
werden die Kurzprosatexte mit seiner frĂŒheren TĂ€tigkeit als Gerichtsbericht-
erstatter verknĂŒpft.
Bernhards literarischem Durchbruch mit seinem Roman Frost. In: Thomas Bernhard Jahr-
buch 2005/2006, S. 35 â 44.
57 Zum literarischen Verfahren des Bandes vgl. Peter Staengle: âDas könne er nicht.â Zu Thomas
Bernhards Der Stimmenimitator. In: Die kleinen Formen in der Moderne. Hg. v. Elmar
Locher. Innsbruck, Wien: StudienVerlag 2001, S.Â
279 â 298, sowie Willi Huntemann: Artistik
und Rollenspiel. Das System Thomas Bernhard. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 1990,
S. 210 f.
âZeitungsgâschichtâlnâ: Thomas Bernhard als
Literaturkritiker288
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471