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manchmal âetwas von der beschwingt-fraulichen SphĂ€re entfernenâ (TBW 22.1,
113). Die Gedichte der 1913 in Bad Gastein geborenen Maria Zittrauer, die er
wiederholt zur LektĂŒre empfiehlt, rĂŒhmt er im MĂ€rz 1953 nicht fĂŒr ihre literari-
schen âMittelâ, sondern fĂŒr den âgroĂen einfachen Ausdruck[Â ], der nur einer
Frau gegeben sein kannâ: âUnd weil wir sagen mĂŒssen, daĂ wir glauben, was
sie uns sagtâ, schlieĂt Bernhard, der hier wie so oft in seinen frĂŒhen journalis-
tischen BeitrĂ€gen von sich selbst im Plural schreibt, âdarum ist sie Dichterin in
voller Bedeutung des Wortes.â (TBW 22.1, 138 f.) Etwas mehr als ein Jahr spĂ€ter
bescheinigt er Zittrauers neuem Lyrikband Die Feuerlilie, man finde in ihm nicht
nur âdas Salzburger Land in seiner beruhigenden Vielfaltâ, sondern auch âdie
GröĂe und Erhabenheit der Berge und das schlichte Empfinden eines starken, von
den rauhen StĂŒrmen der TĂ€ler entfachten Herzensâ; âstark, lebensvoll und echtâ
seien die Verse der 1952 mit dem Georg-Trakl-Preis ausgezeichneten Dichterin
(TBW 22.1, 370).87 Immer wieder stellt Bernhard in seinen literaturkritischen
Arbeiten, aber auch in anderen BeitrĂ€gen fĂŒr das Demokratische Volksblatt die
VitalitĂ€t und UrsprĂŒnglichkeit der Natur und des Landlebens â âdas unbescha-
dete Empfindenâ (TBW 22.1, 373)Â â dem Bereich des Kranken und KĂŒnstlichen
gegenĂŒber: âDer Blick geht plötzlich wunderbar weit hinausâ, heiĂt es in der
Schilderung eines Ausflugs, den Bernhard nach Oberndorf unternommen hat,
âund endlich werden die Wiesen auch grĂŒn und man sieht: da krankt auch die
Welt nicht mehr.â (TBW 22.1, 180)
Wenn er dem Innsbrucker Schriftsteller Walter Rodlauer im Dezember 1952
einige âsehr gute AnsĂ€tzeâ attestiert (TBW 22.1, 109) oder bei anderer Gelegenheit
von einer âstarke[n] dichterische[n] Begabungâ spricht (TBW 22.1, 323), ohne
diese EinschÀtzungen nÀher zu erlÀutern, dann verweist dies auf die mitunter
recht lieblos wirkende BeilÀufigkeit vieler BeitrÀge des jungen Journalisten, aber
auch auf den eingeschrÀnkten Raum, der den Lesungsberichten im Demokrati-
schen Volksblatt zur VerfĂŒgung stand. Manche Texte Bernhards weisen gerade
einmal einen Umfang von 100 Wörtern auf, in dem alle grundlegenden Informa-
tionen sowie Angaben zur Publikumsresonanz 88 Platz finden mussten: Oft war
87 Zu Bernhards WertschĂ€tzung fĂŒr Zittrauer vgl. Mittermayer: âDie brennende hilfesuchende
Glutâ (Anm. 31), S. 205 f.
88 Vgl., um nur eine Auswahl zu nennen, die folgenden stereotypen Schlusswendungen in
Bernhards Lesungsberichten: âDas erschienene Publikum dankte dem jungen Autor fĂŒr die
schöne, besinnliche Stunde mit viel Beifallâ (TBW 22.1, 121); âDas zahlreich erschienene Publi-
kum dankte mit reichem Beifall den Vorlesungenâ (TBW 22.1, 139); âDas Publikum war sehr
zahlreich erschienen und unterhielt sich an manchen Stellen. Der Beifall am Ende war liebens-
wĂŒrdig bemessenâ (TBW 22.1, 150); âDie Zuhörer spendeten reichen Beifallâ (TBW 22.1, 270);
âDaĂ nur wenige Menschen der Hunderttausend-Stadt zu dem Autor gefunden haben, beein-
trĂ€chtigte den angenehmen ErzĂ€hlerabend in keiner Weiseâ (TBW 22.1, 276); âDas Publikum
dankte mit reichem, verdientem Beifallâ (TBW 22.1, 282); âDie Zuhörer spendeten reichen
Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 297
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471