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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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unkommentiert neben Schriftstellern, die erst nach 1945 zu schreiben begon- nen hatten (z. B. Erwin Gimmelsberger) oder wie Jakob Haringer 1938 ins Exil geflohen waren. Immer wieder hat er in seinen BeitrĂ€gen fĂŒr das Demokratische Volksblatt „auch Personen gewĂŒrdigt, die minder- bis schwerbelastete AnhĂ€nger des NS-Regimes waren“,141 war sich der Vergangenheit der entsprechenden Auto- rinnen und Autoren aber wohl oft nicht bewusst. Im Bestreben, ihre Spuren zu verwischen, waren nicht wenige ehemalige Nationalsozialisten im Literatur- und Kulturbetrieb sehr erfolgreich; viele in den 1950er Jahren erschienene Anthologien und Zeitschriften unterließen vorsorglich biographische Angaben zur Periode des Dritten Reichs. Dahinter steckte, so Karl MĂŒller, der sich so ausfĂŒhrlich wie kaum jemand anderer mit dieser Thematik befasst hat, durchaus „Methode: Auf gleiche oder Ă€hnliche Weise wurde nach 1945 auch in Salzburg mit den Biogra- phien etlicher KĂŒnstler verfahren, um sie weiterhin/wieder als unbefleckte Leit- figuren einer konservativen Kultur einsetzen zu können.“ 142 Jene Schriftsteller, die „das Dritte Reich durch ihre hervorragenden FĂ€hig- keiten zur Mimikry unbeschadet und teilweise geehrt und geachtet ĂŒberstanden“ hatten,143 wurden in Bernhards literaturkritischen und feuilletonistischen Texten im Demokratischen Volksblatt nicht enttarnt und angeklagt, sondern stillschwei- gend geduldet: „Ihre Sprache ist einfach und melodiös“, heißt es etwa ĂŒber Erna Blaas’ Gedichtband Die Lieder der Mutter, „die liedhaften Strophen sind empfind- same Musik und von der Anrufung bis zum Siedlerhaus wölbt sich der Bogen der fraulichen Sehnsucht, der mĂŒtterlichen Schwermut und der Daseinsfreude eines von der Zeit gelĂ€uterten Menschen.“ (TBW 22.1, 380) Klingt hier, im Verweis auf die allmĂ€hliche ‚LĂ€uterung‘ des lyrischen Ichs, das Wissen um die Vergangenheit der Schriftstellerin an? Acht Jahre zuvor war Blaas’ gesamtes Werk vom öster- reichischen Unterrichtsministerium gesperrt und auf die „Liste der verbotenen Autoren und BĂŒcher“ gesetzt worden; 1957 indes sollte Blaas den Georg-Trakl- Preis erhalten, 1969 den Adalbert-Stifter-Preis des Landes Oberöster reich und 1970 den Ehrenring der Stadt Salzburg. Und Ironie der Geschichte: 1965 wurde ihr der Professorentitel von jenem Ministerium ehrenhalber verliehen, das 20  Jahre zuvor ihre BĂŒcher auf den antinazistischen Index gesetzt hatte.144 Auch die 1955 von Bernhard gemeinsam mit Elisabeth Effenberger und Josef Hödlmoser veranstalteten „Wochen österreichischer Dichtung“ weisen das 141 Polt-Heinzl: Thomas Bernhard betritt die Wiener Szene (Anm.  66), S.  58 f. 142 MĂŒller: ZĂ€suren ohne Folgen (Anm.  25), S.  270. 143 Anton Thuswaldner: Österreichische VerhĂ€ltnisse. In: Deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Wider ihre VerĂ€chter. Hg. v. Christian Döring. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995, S.  108 – 119, hier S.  115 f. 144 Zu Blaas’ Werdegang vgl. MĂŒller: Die Bannung der Unordnung (Anm.  32), S.  185 f. u.  194 – 196; ders.: ZĂ€suren ohne Folgen (Anm.  25), S.  267 – 270. „Zeitungsg’schicht’ln“: Thomas Bernhard als Literaturkritiker310 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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