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charakteristische Nebeneinander von ehemaligen Nationalsozialisten und poli-
tisch unbelasteten Autorinnen und Autoren auf: Gerhard Amanshauser, Christine
Lavant und Wieland Schmied lasen ebenso bei der von Bernhard mitorganisier-
ten Reihe wie Ingrid Teuffenbach, die nach dem ‚Anschluss‘ Hymnen auf Adolf
Hitler und die HJ veröffentlicht hatte. Im Vergleich zu den parallel stattfindenden
„Internationalen Ferienkursen für deutsche Sprache und Germanistik“ war das
Angebot der „Wochen österreichischer Dichtung“ aber geradezu progressiv, hatte
die Konkurrenz doch in diesem Sommer Richard Billinger, Franz Karl Ginzkey
und Karl Heinrich Waggerl, alle drei Beiträger des Bekenntnisbuchs, zu Gast.145
Diese intrikate Situation im Salzburger Literatur- und Verlagsleben der 1950er
Jahre lässt sich anhand der in diesem Zeitraum erschienenen Anthologien und
Sammelbände prägnant veranschaulichen. Schon im 1951 im Otto Müller Verlag
veröffentlichten Almanach Der Pegasus stehen mit Erna Blaas, Hans Deißinger
und Karl Heinrich Waggerl 146 nicht nur drei Beiträger des Bekenntnisbuchs
neben Autoren wie Carl Zuckmayer oder Alois Grasmayr, der im Dritten Reich
zeitweilig wegen Wehrkraftzersetzung inhaftiert gewesen war; im namentlich
nicht gezeichneten „Vorwort“ des Bandes ist, als Nachhall des Vokabulars der
völkischen Germanistik, auch noch von den „spezifische[n] Stammeseigen-
schaften“ der Salzburger Schriftsteller die Rede.147 Zehn Jahre zuvor war, eben-
falls in Salzburg, das von Heinrich Zillich herausgegebene Kunstjahrbuch Das
Flügelroß erschienen, in das neben Texten von Bruno Brehm, Max Mell, Josef
Friedrich Perkonig und Karl Springenschmid auch Arbeiten von Blaas, Deißinger
und Waggerl aufgenommen wurden.148 Der Pegasus von 1951 war in Teilen eine
Reprise des Flügelrosses von 1941, nur war die Gruppe der Autorinnen und Auto-
ren nun politisch heterogener, und der Titel hatte vom Deutschen ins Lateini-
sche zurückgefunden.
Ähnliches trifft auf den 1952 im Salzburger Pfad Verlag gedruckten Lyrikband
Die schöne Stadt (herausgegeben von Eligius Scheibl) zu, der neben Gedichten
von Georg Trakl und dem 1942 im brasilianischen Exil verstorbenen Stefan
145 Vgl. Schneider/Steinsiek: Mengenlehre (Anm. 101), S. 60.
146 Die drei genannten Autoren traten gemeinsam am 24.
Jänner 1941 bei einer Lesung der „Deut-
schen Arbeitsfront“ im Mozarteum auf. Vgl. Gert Kerschbaumer: Faszination Drittes Reich.
Kunst und Alltag der Kulturmetropole Salzburg. Mit einem Vorwort v. Gerhard Amanshauser.
Salzburg: Otto Müller 1988, S.
265; dort allg. zu Waggerls Rolle im NS-Kulturbetrieb S.
264 – 267.
147 N. N.: Vorwort. In: Der Pegasus. Salzburger Dichteralmanach 1952. Salzburg: Otto Müller 1951,
S. [6]–[7], hier S. [6].
148 Vgl. Das Flügelroß. Erstes Kunstjahrbuch des Reichsgaues Salzburg. Hg. v. Heinrich Zillich.
Salzburg: Bergland-Buch 1941. Im Vorwort von Heinrich Zillich heißt es: „Denn in unserer
Zeit, da sich das Reich sieghaft erneuert, wissen die schöpferischen Menschen aus der Tiefe der
Werkbeauftragung, daß ihr Dichten, den Baumzweigen gleich, einem einzigen Wurzelstamm
entsprießt und sich, obgleich tausendfach verschieden, unverwandt ergänzt.“ (Ebd., S. 7)
Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 311
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471