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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Page - 337 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

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WĂ€hrend Peter Handke seine Reflexionen ĂŒber die Bewertungs- und Beschrei- bungsverfahren der Literaturkritik stets mit eigenen Proben kritischen Schrei- bens flankiert hat, wurde es um den Kritiker Thomas Bernhard ab Mitte der 1950er Jahre also auffallend ruhig. Er polemisierte zwar in Briefen und öffent- lichen Statements regelmĂ€ĂŸig gegen andere Schriftstellerinnen und Schriftstel- ler  – etwa gegen den „absoluten KleinbĂŒrgerschmarren“ Martin Walsers 237 oder die „grauen haft[en]“ TheaterstĂŒcke Rolf Hochhuths (TBW 22.2, 175)  –, aber er tat dies nicht in einer Buchbesprechung oder in einem ausfĂŒhrlicheren Kommentar zu einem konkreten Werk. Das Genre der Literaturkritik, das ganz wesentlich die argumentative RĂŒckbindung des eigenen Urteils an bestimmte Kriterien erfordert, spielte in Bernhards ƒuvre keine Rolle mehr. Peter Handke hat seinen Entschluss, „kein Kritiker“ (mehr) sein zu wol- len,238 vor allem mit seiner Abscheu gegenĂŒber dem „Urteilen und Meinen“ bzw. dem „Meinen und Urteilen“ 239 begrĂŒndet und dies in Die Geschichte des Blei- stifts (1982) mit einem von Georges Simenon entliehenen anaphorischen Man- tra bekrĂ€ftigt: „‚Ich urteile nicht. Ich werde nicht urteilen. Ich werde nie wieder urteilen.‘ (Simenon)“.240 In Arbeiten ĂŒber die Texte anderer Schriftstellerinnen und Schriftsteller hat Handke wiederholt betont, auf ein Urteil verzichten zu wollen, so etwa in seiner Laudatio auf John Berger im Zuge der Verleihung des Petrarca-Preises 1991: „Und selbstverstĂ€ndlich urteile ich damit nicht, sondern zeige zwei Möglichkeiten, von Menschendingen zu erzĂ€hlen, feiere die eine nicht auf Kosten, sondern mit Hilfe der anderen, freue mich, Leser, gerade an solcher Zweistimmigkeit.“ 241 Bernhards Distanzierung vom Handwerk des Kritikers hin- gegen erklĂ€rt sich nicht aus solch skrupulösem Zögern vor dem Urteil, vielmehr resultiert es aus einer peniblen Imagekontrolle, die den Anschein vermeiden 237 Bernhard an Unseld, 3. 11. 1985. In: Bernhard/Unseld: Der Briefwechsel (Anm.  36), S.  739. Diesen Brief hat er jedoch nicht abgeschickt; in dem tatsĂ€chlich versendeten Schreiben vom 26. 11. 1985 ist aber immer noch von einem „schauerliche[n] Walserbuch“ zu lesen (ebd., S.  738). Gemeint ist damit Martin Walsers Roman Brandung (1985). Sigurd Paul Scheichl: Die OmniprĂ€senz der Lite- raturkritik. In: Große Literaturkritiker. Hg. v. S. P. S. Innsbruck u. a.: StudienVerlag 2010, S.  11 – 30, hier S.  13, zufolge hat man es hier zwar „durchaus mit einem literaturkritischen Urteil zu tun, das die Abwertung mit einem rudimentĂ€ren sozialen Argument begrĂŒndet“: „Gerade bei solcher ‚Lite- raturkritik‘ mĂŒssen wir freilich auch die Situation bedenken, in der sie artikuliert wird: Walser war beim Publikum wie im Suhrkamp Verlag ein Konkurrent Bernhards, was zur SchĂ€rfe der Äußerung nicht weniger beigetragen haben mag als die ganz unterschiedlichen Ă€sthetischen Positionen.“ 238 Peter Handke: Briefe ĂŒber Theater (1). In: Theater heute (1967), H.  2, S.  37. 239 Peter Handke: Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987–Juli 1990. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2005, S.  435 u.  510. 240 Peter Handke: Die Geschichte des Bleistifts. Salzburg, Wien: Residenz 1982, S.  123. 241 Peter Handke: Wir-ErzĂ€hler und Ich-ErzĂ€hler: Zu John Berger. [1991] In: P. H.: Langsam im Schatten. Gesammelte Verzettelungen. 1980 – 1992. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992, S.  156 – 166, hier S.  163. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen 337 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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