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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Auch abgesehen von solchen literarischen FingerĂŒbungen, die stĂ€rker dem unernsten Fabulieren als der politischen Polemik zuzurechnen sind, rĂŒckte Bruno Kreisky in den 1980er Jahren gemeinsam mit seiner Partei, der SPÖ, zuse- hends ins Visier von Thomas Bernhards publizistischen Attacken. Der Politiker wurde, wie Alfred Pfabigan gezeigt hat, immer mehr zum „Verdichtungspunkt von Bernhards Österreichkritik“.18 Die „schon auf die tödliche LĂ€nge an der Macht befindliche Regierung“ bestehe  – so der Autor am 2.  Februar 1981, also kurz vor Halbzeit der vierten Kreisky-Regierung, der dritten mit absoluter Mehrheit der Sozialisten, in einem Brief an Gerhard Ruiss  – „nur aus Dummköpfen, Banau- sen und brutalen Bossen“ (TBW 22.1, 668).19 Die Angriffe Bernhards auf den ‚katholisch-nationalsozialistischen‘ Kom- plex in Österreich  – etwa in Die Ursache (1975), dem ersten Band der Autobio- graphie 20  – wurden mit der Zeit durch jene gegen den Sozialismus bzw. dessen vermeintliche Fehlinterpretation und VerfĂ€lschung durch die zeitgenössische Politik ergĂ€nzt. In seinem 1978 veröffentlichten TheaterstĂŒck Immanuel Kant lĂ€sst Bernhard seine Titelfigur darĂŒber rĂ€sonieren, dass die Gesellschaft einerseits „Selbstmord  / begangen“ habe, „indem sie den Weg des Sozialismus gegangen ist“, andererseits sei dies aber nur dadurch zustande gekommen, dass sie „den Sozialismus  / vollkommen mißverstanden“ habe: „Ich bin Sozialist“, so Kant, „der wahre der tatsĂ€chliche Sozialist  / alles Andere ist ein Irrtum“ (TBW 17, 110). Die Attacken gegen den „sogenannte[n] Sozialismus“ (TBW 19, 164) und die Sozial- demokratie, die sich sowohl in öffentlichen Statements des Autors als auch in den Äußerungen seiner Prosa-ErzĂ€hler und BĂŒhnenfiguren finden, sollten in den 18 Alfred Pfabigan: Motive und Strategien der Österreichkritik des Thomas Bernhard. In: Thomas Bernhard. Gesellschaftliche und politische Bedeutung der Literatur. Hg. v. Johann Georg Lughofer. Wien u. a.: Böhlau 2012, S.  35 – 48, hier S.  43. 19 Sein Brief an Gerhard Ruiss, den GeschĂ€ftsfĂŒhrer der IG Autoren, wenige Tage nach der Publi- kation von Der pensionierte Salonsozialist verfasst, wurde zunĂ€chst gekĂŒrzt in einem Band zum „Ersten österreichischen Schriftstellerkongress“ gedruckt  – Bernhard hatte die Teilnahme daran entschieden abgelehnt (vgl. TBW 22.1, 665 – 667)  – und erst nach dem Tod des Autors vollstĂ€n- dig veröffentlicht (vgl. den Kommentar in TBW 22.1, 867). 20 In Die Ursache ist u. a. von der „katholisch-nationalsozialistische[n] AtmosphĂ€re“ in Salzburg die Rede (TBW 10, 77).  – Die Verbindung der beiden Adjektive findet sich bereits in einem Brief Bernhards aus dem Sommer 1972. Im Nachhall des Salzburger ‚Notlicht-Skandals‘ um die UrauffĂŒhrung von Der Ignorant und der Wahnsinnige konstatiert er in einem Schreiben an Siegfried Unseld, dass aus den Leitartikeln der „schauerliche[n] Provinzpresse“, die „ihren faulen Bottich voll Gemeinheit und Niedertracht, Heuchelei und ErbĂ€rmlichkeit ĂŒber mich und meine Schauspieler und Peymann ausschĂŒttet“, peu Ă  peu eine „infame Geistesgeschichte des österreichischen nationalen katholisch-nazistischen Stumpfsinns“ entstehe (Bernhard an Unseld, 19. 8. 1972. In: Bernhard/Unseld: Der Briefwechsel [Anm.  2], S.  297).  – Zu seinen schu- lischen Erfahrungen in Salzburg im Spannungsfeld von „Hitlerbild“ und „Kreuz“ vgl. auch das 1975 gefĂŒhrte GesprĂ€ch mit Rudolf Bayr ĂŒber den Band Die Ursache (TBW 22.2, 75). Rezensionen, die keine sind: Kritik und Selbstkritik bei Thomas Bernhard350 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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