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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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unfrei in einem Land oder Staat, in dem man sich unfrei fĂŒhlt, weil es noch so viele geheime BesatzungsmĂ€chte gibt. Und ich habe Lust, durch meine Arbeit die mörde- rische Gewalt dieser doch eigentlichen BesatzungsmĂ€chte vermindern zu helfen; das kann man allerdings nicht mit einem Staatsvertrag erreichen.63 Gerade die Verweigerung der Heimat-Liebe, so differenziert sie hier auch vor- gebracht wird, sollte sich  – wie im Zuge anderer österreichischer Literaturskan- dale  – als Stein des Anstoßes erweisen.64 In den folgenden Wochen entwickelte sich auf der Leserbriefseite der Kleinen Zeitung eine heftige Debatte, an der auch zahlreiche prominente Akteure des politischen und literarischen Lebens teilnahmen. Handkes „Art von Verbundenheit und Verpflichtung“ sei ihm, so Bruno Kreisky in einer Zuschrift an die Zeitung vom 6.  Juni 1975, „ungleich lieber als jene, die sich durch bloße Nachahmung bei uns ĂŒblicher Lebensfor- men und BrĂ€uche kundtut“.65 Zuvor hatten Leserbriefschreiber Handke unter anderem vorgeworfen, seine AusfĂŒhrungen erinnerten „an das Gegreine eines vom Ruhm maßlos verwöhnten Einzelkindes“;66 er sei unehrenhaft „ins Aus- land“ geflĂŒchtet, „um von der Position des arrivierten Autors gebĂŒndelte Blitze des Zornes“ aus Paris in die Heimat „zu schleudern“ 67  – ein beliebtes Muster der Denunziation von KĂŒnstlerinnen und KĂŒnstlern, die ihren Lebensmittelpunkt außerhalb ihres Herkunftslands haben: Sie hĂ€tten, so will es dieses Narrativ, durch ihre ‚Flucht‘ ins Ausland das Recht verwirkt, sich ĂŒber MissstĂ€nde in der Heimat zu echauffieren. 63 Handke: Persönliche Bemerkungen zum JubilĂ€um der Republik (Anm.  59), S.  58 f. 64 Zu diesem Aspekt in Handkes Werk vgl. exemplarisch Karl Wagner: „[
] wenn dir nicht ein Traum von ihr genĂŒgt.“ Peter Handke, Heimatsucher. In: Ferne Heimat  – Nahe Fremde. Bei Dichtern und Nachdenkern. Hg. v. Eduard Beutner u. Karlheinz Rossbacher. WĂŒrzburg: Königs- hausen & Neumann 2008, S.  203 – 213; Christoph Parry: Von Ahnen und Enklaven. Staat und Heimat bei Peter Handke. In: Text + Kritik (2015), Sonderbd. „Österreichische Gegenwartslite- ratur“, S.  71 – 82.  – Zu dieser Thematik bei Bernhard vgl. z. B. Renate Langer: „Erde, Erbe, was war das immer?“ Thomas Bernhards Heimatkomplex. In: Thomas Bernhard und Salzburg. 22 AnnĂ€herungen. Hg. v. Manfred Mittermayer u. Sabine Veits-Falk. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2001, S.  41 – 48; Manfred Mittermayer: „Aufzuwachen und ein Haus zu haben.“ Thomas Bernhards „Heimatkomplex“ in frĂŒhen und frĂŒhesten Texten. In: Ferne Heimat  – Nahe Fremde (Anm.  64), S.  186 – 202. 65 Bruno Kreisky: Wahr ist, was einer denkt. In: Kleine Zeitung, 8. 6. 1975. 66 Rudolf E. Kellermayr: Vom Ruhm verwöhnt. In: Kleine Zeitung, 31. 5. 1975. In anderen Leser- briefen ging diese EinschĂ€tzung gar mit medizinischen Diagnosen einher: „Peter Handke ist der Typ des milieugeschĂ€digten, neurasthenischen Kindes, das deshalb Schwierigkeiten mit sich, der Umwelt und der Schule hatte. Diese Schwierigkeiten im eigenen familiĂ€ren Bereiche und die daraus resultierenden Kettenreaktionen werden heute noch der Umwelt und der Schule angelastet.“ (Matthias Offner: Dann wĂ€re Handke ein großer Dichter  
 In: Kleine Zeitung, 31. 5. 1975) FĂŒr den Hinweis auf die Leserbrief-Materialien danke ich Christoph Kepplinger-Prinz. 67 Heinz Stritzl: Amoklauf gegen Österreich. In: Kleine Zeitung, 5. 6. 1975. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 365 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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