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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Waren Anfang Juni 1975 bereits Humbert Fink und Gerhard Roth fĂŒr Handke eingetreten,68 hatte das Wort des Bundeskanzlers in dieser Leserbriefdebatte nun natĂŒrlich besonderes Gewicht: Warum ich mich melde, wo ich doch eigentlich gar nicht in mehr Streit verwickelt sein möchte, als ich es schon bin? Weil Peter Handke ein wirklicher Dichter ist, einer von denen, die selten kommen. Und sie sollen wie jeder das Recht haben zu schrei- ben, was sie fĂŒr wahr halten  – und wahr ist halt nach Bernanos, was einer denkt.69 LiteraturfunktionĂ€re wie Reinhard Federmann, der GeneralsekretĂ€r des öster- reichischen P. E. N.-Clubs, oder Rudolf Henz, der PrĂ€sident des österreichischen Kunstsenats, hatten vehement gegen Handkes Äußerungen protestiert.70 Auf Kreiskys Statement fĂŒr Handke folgte wiederum eine Reihe weiterer Leserbriefe, in denen man es etwa fĂŒr befremdlich hielt, dass „der hochverehrte Herr Bun- deskanzler“ sich fĂŒr das „von ‚linker‘ Hand aufgezogene[  ] Flaschenkind der ext- remen Linken, Herrn Peter Handke“, so sehr „ins Zeug“ legte.71 (Die „extremen Linken“, die Handke lĂ€ngst als einen von ihnen abgeschrieben hatten, weil er als zu eigensinnig und politisch ‚unzuverlĂ€ssig‘ galt, waren ĂŒber diese Zuschreibung wohl wenig erfreut.) Kreisky nahm, das darf nicht vergessen werden, in dieser Causa eine Position ein, die durchaus das Potential hatte, ihn bei weniger kunst- sinnigen WĂ€hlerinnen und WĂ€hlern Stimmen zu kosten. Jedenfalls war es einer interessierten Öffentlichkeit nicht verborgen geblieben, wie selbstverstĂ€ndlich der Politiker Kreisky den Schriftsteller Handke Mitte der 1970er Jahre in einer aufgeheizten Kontroverse mit persönlichem Einsatz vertei- digte 72  – und Thomas Bernhard hatte fĂŒr derlei Allianzen ein besonders feines Sensorium. Ein Foto der beiden, das wenige Wochen nach Bernhards Polemik im Zuge eines Interviews mit Handke im profil erschien, trug die Bildunterschrift 68 Vgl. Humbert Fink: Von Urangst befallen  
 In: Kleine Zeitung, 1. 6. 1975; Gerhard Roth: Die Wehleidigkeit der Antworten. In: Kleine Zeitung, 3. 6. 1975. 69 Kreisky: Wahr ist, was einer denkt (Anm.  65). 70 Vgl. dazu die Dokumentation im Katalog: „Was ich schreibe, ist ja nur meine geformte Existenz“. Peter Handke. Eine Ausstellung ĂŒber Leben und Werk des Schriftstellers. Stift Griffen 1997. Klagenfurt: Kulturinitiative Stift Griffen 1998, S.  70. Zu Henz’ andauernder „offene[r] Feind- schaft“ gegenĂŒber Handke vgl. Evelyne Polt-Heinzl: Peter Handke. In Gegenwelten unterwegs. Wien: Sonderzahl 2011, S.  12 f., sowie dies.: Die grauen Jahre. Österreichische Literatur nach 1945. Mythen, Legenden, LĂŒgen. Wien: Sonderzahl 2018, S.  178; zu den Debatten um Handkes Beitrag Malte Herwig: Meister der DĂ€mmerung. Peter Handke. Eine Biographie. MĂŒnchen: DVA 22010, S.  209 f. 71 Karl-Ernst Halder: Freibrief fĂŒr SchmĂ€hungen? In: Kleine Zeitung, 15. 6. 1975. 72 Petritsch: Bruno Kreisky (Anm.  13), S.  290, berichtet in seiner Kreisky-Biographie sogar davon, dass Handke im MĂ€rz 1979, „wenige Wochen vor der Nationalratswahl“, dem Kanzler geschrie- ben und seiner Hoffnung auf dessen Wahlerfolg Ausdruck verliehen habe. Rezensionen, die keine sind: Kritik und Selbstkritik bei Thomas Bernhard366 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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