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âAutor Handke, Bewunderer Kreiskyâ.73 Im gleichen Jahr stellte Kreisky den
Roman Der Zögling TjaĆŸ von Florjan LipuĆĄ, den Handke gemeinsam mit Helga
MraÄnikar ins Deutsche ĂŒbersetzt hatte,74 im Wiener Museum des 20. Jahrhun-
derts vorÂ
â nicht nur eine âGeste fĂŒr das tatsĂ€chlich mehrsprachige Ăsterreichâ,75
sondern auch eine Geste der WertschĂ€tzung fĂŒr Handkes TĂ€tigkeit als Ăberset-
zer und Literaturvermittler.
Im MĂ€rz 1985, knapp zwei Jahre nach Kreiskys Ausscheiden aus dem Amt des
Bundeskanzlers, sollte die Wiener Presse gar ein amikales GesprÀch zwischen
ihm und Handke veröffentlichen, das dem leidenschaftlichen Zeitungsleser
Bernhard mit Sicherheit nicht verborgen blieb.76 Als das Interview mit dem
Altkanzler erschien, fand sich Handke gerade in eine heftige mediale Aus-
einandersetzung verstrickt, die sich aus einem ânĂ€chtlichen Vorfallâ mit einer
Polizeistreife auf dem Salzburger UniversitÀtsplatz und der folgenden Bericht-
erstattung darĂŒber entsponnen hatte. In einer ausfĂŒhrlichen Stellungnahme
in profil beklagte Handke, dass âhierzulande das Wort âKĂŒnstlerâ zugleich als
SchmĂ€hwortâ verwendet werde: â[I]ch kenne kein anderes Land in Europa, wo,
durch die Zunahme der nichtsnutzigen, unbefriedigten, unerotischen Berufe,
das KleinbĂŒrgertum so frech geworden ist, daĂ es sich erlauben kann, alles zu
beurteilen und nichts zu achten.â 77 Handkes Text, dessen rhetorische SchĂ€rfe
mitunter an Thomas Bernhards Tiraden erinnert, gehört zu den politisch bri-
santesten Einmischungen des Autors im österreichischen Kontext. Kreiskys
Nachfolger als Bundeskanzler, Fred Sinowatz, wird darin namentlich genannt;
dieser gebe sich zwar als âFreund der KĂŒnstlerâ aus, eine jĂŒngst von ihm getĂ€tigte
Aussage zum VerhĂ€ltnis von Politik und Literatur jedoch sei âwĂŒrdig, unter die
dĂŒmmsten SĂ€tze aufgenommen zu werden, welche seit der Nacht der Zeiten von
Menschen mit Zungen im Maul gesprochen worden sindâ.78 Was Handke und
andere Autoren Kreisky stets zugutehielten, nÀmlich seine AffinitÀt zur Litera-
tur, wollte er dem deutlich weniger weltmÀnnisch auftretenden Sinowatz nicht
zugestehen: â[W]ir werden uns von solch machthabenden, geistfeindlichen
73 Löffler/Handke: âAls Schreibender krepiert man fastâ (Anm. 57), S. 58.
74 Vgl. Florjan LipuĆĄ: Der Zögling TjaĆŸ. Roman. Deutsch von Peter Handke zusammen mit Helga
MraÄnikar. Salzburg, Wien: Residenz 1981.
75 Petritsch: Bruno Kreisky (Anm. 13), S. 289.
76 Vgl. âMan kann gar nichts mehr sagenâ. Peter Handke mit Bruno Kreisky, unvergessen, ĂŒber
Literatur und Politik. In: Die Presse, 16./17. 3. 1985. Im selben Jahr erschien eine ausfĂŒhrlichere,
gleichwohl ebenfalls gekĂŒrzte Fassung: Peter Handke/Bruno Kreisky: Von der Abwesenheit
des UnglĂŒcks. In: Peter Handke. Die Arbeit am GlĂŒck. Hg. v. Gerhard Melzer u. Jale TĂŒkel.
Königstein i. Ts.: AthenĂ€um 1985, S. 11 â 24.
77 Peter Handke: Eine andere Rede ĂŒber Ăsterreich. [1985] In: P. H.: Langsam im Schatten. Gesam-
melte Verzettelungen. 1980 â 1992. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992, S. 64 â 73, hier S. 69.
78 Ebd., S. 71. âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 367
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471