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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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„Autor Handke, Bewunderer Kreisky“.73 Im gleichen Jahr stellte Kreisky den Roman Der Zögling TjaĆŸ von Florjan LipuĆĄ, den Handke gemeinsam mit Helga Mračnikar ins Deutsche ĂŒbersetzt hatte,74 im Wiener Museum des 20.  Jahrhun- derts vor  – nicht nur eine „Geste fĂŒr das tatsĂ€chlich mehrsprachige Österreich“,75 sondern auch eine Geste der WertschĂ€tzung fĂŒr Handkes TĂ€tigkeit als Überset- zer und Literaturvermittler. Im MĂ€rz 1985, knapp zwei Jahre nach Kreiskys Ausscheiden aus dem Amt des Bundeskanzlers, sollte die Wiener Presse gar ein amikales GesprĂ€ch zwischen ihm und Handke veröffentlichen, das dem leidenschaftlichen Zeitungsleser Bernhard mit Sicherheit nicht verborgen blieb.76 Als das Interview mit dem Altkanzler erschien, fand sich Handke gerade in eine heftige mediale Aus- einandersetzung verstrickt, die sich aus einem ‚nĂ€chtlichen Vorfall‘ mit einer Polizeistreife auf dem Salzburger UniversitĂ€tsplatz und der folgenden Bericht- erstattung darĂŒber entsponnen hatte. In einer ausfĂŒhrlichen Stellungnahme in profil beklagte Handke, dass „hierzulande das Wort ‚KĂŒnstler‘ zugleich als SchmĂ€hwort“ verwendet werde: „[I]ch kenne kein anderes Land in Europa, wo, durch die Zunahme der nichtsnutzigen, unbefriedigten, unerotischen Berufe, das KleinbĂŒrgertum so frech geworden ist, daß es sich erlauben kann, alles zu beurteilen und nichts zu achten.“ 77 Handkes Text, dessen rhetorische SchĂ€rfe mitunter an Thomas Bernhards Tiraden erinnert, gehört zu den politisch bri- santesten Einmischungen des Autors im österreichischen Kontext. Kreiskys Nachfolger als Bundeskanzler, Fred Sinowatz, wird darin namentlich genannt; dieser gebe sich zwar als „Freund der KĂŒnstler“ aus, eine jĂŒngst von ihm getĂ€tigte Aussage zum VerhĂ€ltnis von Politik und Literatur jedoch sei „wĂŒrdig, unter die dĂŒmmsten SĂ€tze aufgenommen zu werden, welche seit der Nacht der Zeiten von Menschen mit Zungen im Maul gesprochen worden sind“.78 Was Handke und andere Autoren Kreisky stets zugutehielten, nĂ€mlich seine AffinitĂ€t zur Litera- tur, wollte er dem deutlich weniger weltmĂ€nnisch auftretenden Sinowatz nicht zugestehen: „[W]ir werden uns von solch machthabenden, geistfeindlichen 73 Löffler/Handke: „Als Schreibender krepiert man fast“ (Anm.  57), S.  58. 74 Vgl. Florjan LipuĆĄ: Der Zögling TjaĆŸ. Roman. Deutsch von Peter Handke zusammen mit Helga Mračnikar. Salzburg, Wien: Residenz 1981. 75 Petritsch: Bruno Kreisky (Anm.  13), S.  289. 76 Vgl. „Man kann gar nichts mehr sagen“. Peter Handke mit Bruno Kreisky, unvergessen, ĂŒber Literatur und Politik. In: Die Presse, 16./17. 3. 1985. Im selben Jahr erschien eine ausfĂŒhrlichere, gleichwohl ebenfalls gekĂŒrzte Fassung: Peter Handke/Bruno Kreisky: Von der Abwesenheit des UnglĂŒcks. In: Peter Handke. Die Arbeit am GlĂŒck. Hg. v. Gerhard Melzer u. Jale TĂŒkel. Königstein i. Ts.: AthenĂ€um 1985, S.  11 – 24. 77 Peter Handke: Eine andere Rede ĂŒber Österreich. [1985] In: P. H.: Langsam im Schatten. Gesam- melte Verzettelungen. 1980 – 1992. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992, S.  64 – 73, hier S.  69. 78 Ebd., S.  71. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 367 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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