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SPĂ-Kanzler âseit einiger Zeit unaufgefordertâ zugeschickt bekĂ€men (TBW 22.1,
671). Indem Bernhard diesenÂ
â vermutlich fingierten 87Â
â Anlass dazu nutzte, um
den Band abermals als âstupide[s] Machwerkâ und âschauerlichen Bilderroman
aus der Jetztzeitâ zu schmĂ€hen und dessen Distribution zu einer âneuerlichen
Geschmacklosigkeitâ zu erklĂ€ren (TBW 22.1, 671), erhĂ€lt sein Leserbrief den Cha-
rakter einer polemischen Nachschrift, einer Re-Rezension, die die provokative
Kraft des ersten Schlags erneuern sollte.88 Der Verleger des kritisierten Bandes,
Dieter Beuermann, jedoch antwortete mit einer souverÀnen Geste, die sonst in der
Ăffentlichkeit angegriffenen Autorinnen und Autoren vorbehalten istÂ
â nĂ€mlich
mit dem Verweis auf den durch Bernhards Verriss bewirkten Gewinn an medialer
Aufmerksamkeit fĂŒr das von ihm in Umlauf gebrachte Buch: âBisherâ seien âvon
unserem Kreisky-Titel 10 000 Exemplare gedrucktâ worden, man hoffe allerdings,
âmit Hilfe weiterer Besprechungen und Leserbriefe von Thomas Bernhard diese
Zahl noch erheblich steigern zu können.â (TBW 22.1, 869)
Auf solche Weise mit seinen eigenen Waffen attackiert, antwortete Bernhard
im Feld der fiktionalen Prosa: In Beton, ein Jahr nach der Kreisky-Rezension
im Suhrkamp Verlag erschienen, zieht der namenlos bleibende Protagonist,
der fortwĂ€hrend am ersten Satz einer musikwissenschaftlichen Studie ĂŒber
Felix Mendelssohn Bartholdy scheitert, ĂŒber die âperversen SchauermĂ€rchen
vom Ballhausplatzâ her, âwo ein gemeingefĂ€hrlich gewordener Kanzler seinen
Minister idioten ebenso gemeingefĂ€hrliche Befehle gibtâ (TBW 5, 72 f.):
Ich verlasse ja ein vollkommen ruiniertes Land, ein widerwÀrtiges Staatsgebilde, vor
welchem einem an jedem Morgen graust. Zuerst haben es die sogenannten Konserva-
tiven ausgebeutet und weggeworfen, jetzt die sogenannten Sozialisten. Ein renitenter
Dummkopf, als alter Kanzler gröĂenwahnsinnig, unberechenbar, gemeingefĂ€hrlich.
(TBW 5, 93)
Ăber den Begriff der âRenitenzâ, den er bereits zuvor gegen Kreisky ins Treffen
gefĂŒhrt hatte (vgl. TBW 22.1, 623), verknĂŒpft Bernhard das Genre der Rezen-
sion mit der fiktionalen Prosa: Die Figur fĂŒhrt gewissermaĂen die Agenda ihres
Autors fort.89 Siegfried Unseld hatte im Vorfeld der Publikation von Beton zu
87 Jedenfalls verwehrte sich Dieter Beuermann, der Leiter der Nicolaischen Verlagsbuchhandlung,
in der das Buch erschienen war, am 6. 4. 1981 in einem Leserbrief an profil gegen Bernhards
Behauptung, da sie âschlicht falschâ sei (TBW 22.1, 869).
88 Einige Wochen spĂ€ter erschienen im stern Notizen von Niklas Frank ĂŒber ein GesprĂ€ch mit
Bernhard, in dem dieser Kreisky erneut attackierte und als âblindwĂŒtige[n] alte[n] Narr[en]â
bezeichnete (Niklas Frank: Ansichten eines unverbesserlichen Weltverbesserers. In: stern,
Nr. 24, 4. 6. 1981, S. 160 â 162, hier S. 162).
89 Mit Huntemann: Artistik und Rollenspiel (Anm.Â
37), S.Â
193, ist indes zu betonen, dass die âVor-
stellung, auĂerhalb seiner Texte spreche der Autor in eigener Person, in ihnen durch erfundene
Rezensionen, die keine sind: Kritik und Selbstkritik bei Thomas
Bernhard370
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471